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E P I L O G

Alleine ein Blick in die Geschichte genügt, um zu erkennen, wie und vor allem warum der Film zu DEM führenden Medium geworden ist, das er heute darstellt. Gerade die unterschiedlichen Richtungen, die Hollywood und Europa eingeschlagen haben, lassen sich durch die Weichenstellung des Zweiten Weltkrieges und dem anschließenden Fernsehschock plausibel nachvollziehen. Während amerikanische Produktionen in erster Linie vom Markt beeinflusst wurden, setzte man hierzulande auf Kultur. Letzten Endes sind beide Wege problembehaftet, da es der Filmindustrie gegenwärtig generell nicht allzu gut geht.

Seit jeher zog das Kino regelmäßig Tausende von Menschen überall auf dem Globus in seinen Bann. Es lud zur Erholung und Ablenkung ein, zum Erleben fremder Länder und aufregender Abenteuer. Doch es erzählte auch ruhige Geschichten voller Dramatik und Trauer. Und durch die technischen sowie psychologischen Eigenschaften des bewegten Bildes konnte der Zuschauer wie nie zuvor derart tief in fiktive Welten eintauchen, indem er sich einfach treiben ließ. Nun ergibt sich daraus eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie die Gesellschaft auf diese „realen“ Fiktionen reagiert. Nachdem der pädagogische Aufschrei Anfang der 20er-Jahre zwar wirkungslos verhallt war, sahen viele dennoch im Film die Verwirklichung einer massentauglichen Gehirnwäsche und warnten vor deren Auswirkungen. Letztlich aber spielen persönliche Erfahrungen eine viel größere Rolle bei der emotionalen und kognitiven Verarbeitung von Filmen, denn selbst die große Traumfabrik Hollywood kann kaum vorhersehen, was beim Publikum ankommt oder was nicht.

Während in Amerika der Übergang zur medial vermittelten Massenkultur eher fließend verlief, sorgten die Kriegswirren in Europa für einen Stillstand der Entwicklung, der danach innerhalb weniger Jahre wie eine Flutwelle über den großen Teich zu schwappen schien. Gerade in Deutschland kamen Fernsehen und Populärkultur praktisch über Nacht. Dies könnte der Grund dafür sein, warum in Amerika der Gedanke der Postmoderne weitaus neutraler bewertet wird als in Europa, wo die drohende Vermischung von Hoch- und Massenkultur seitdem zäh bekämpft wird. Doch die Kultur ist nur ein Bereich, den es vor den postmodernen Tendenzen zu schützen gilt. Inzwischen wird sie in allen sozialen Sparten, wie Politik und Philosophie heftig diskutiert, wobei bisher niemand so genau zu erklären vermag, wodurch sich der Postmodernismus nun eigentlich genau darstellt. Generell wird er hierzulande als Ausdruck eines universell kulturellen Niedergangs bezeichnet. Verschiedene Stile werden kombiniert, die Eindeutigkeit weicht zugunsten einer unüberschaubaren Vielschichtigkeit, die gleichzeitig nur noch den Blick des Betrachters nur auf die Oberfläche erlaubt. 

Gerade der Film scheint in dieser Hinsicht ein Paradebeispiel zu sein. Die kurze Spieldauer von durchschnittlich zwei Stunden lässt eine tiefgehendere Darstellung der Figuren kaum noch zu. Der Zuschauer wird mit Klischees und unrealistischer Fiktion überschwemmt, die er kommentarlos auf sein wahres Leben projiziert.
Lange Zeit wurde diese angebliche Wirkung des Kinos als selbstverständlich hingenommen, wobei man den eigentlich entscheidenden Faktor fast gänzlich außer Acht ließ: den Zuschauer selbst. Ohne sich die Mühe zu machen, auf dessen Alltagspraktiken zu schauen, sprach man ihm einen eigenständigen und selbstbestimmten Umgang mit Filmen einfach ab. Demnach waren hohe Besucherzahlen lediglich ein Indiz für das Potential eines Films zur sozialen Beeinflussung und Manipulation.

In diese Theorie will das Phänomen des Kultfilms so gar nicht recht passen. Immer wieder gelingt es jenen Filmen – egal ob große Studio- oder kleine Independentproduktionen – eine mehr oder weniger große Gruppe von Zuschauern über Jahre hinaus an sich zu binden, wobei sie gleichzeitig von anderen mit Nachdruck abgelehnt werden – von einer kollektiven Beeinflussung keine Spur. Auch bei den Handlungen und Inhalten scheint die einzige Gemeinsamkeit darin zu bestehen, dass es eben keine gibt. Kultfilme finden sich in allen Genres, in allen Milieus und in allen Generationen. Einige werden gleich zum Kult, während andere bis zu Jahrzehnten im Archiv verstauben, bevor sie von einer Gruppe Menschen für sich entdeckt werden, denen sie praktisch aus der Seele sprechen.

So verschieden die Kultfilme, desto ähnlicher sind sich die Kultisten in ihren rituellen Praktiken. Der jeweilige Film wird mehrmals im Jahr angeschaut und oft sogar in der Gemeinschaft zelebriert. Es werden Treffen abgehalten, man kommuniziert untereinander, eine Sozialwelt entsteht, in der jeder einen Platz findet, der ihm gefällt. Es bleibt jedem Fan selbst überlassen, ob er als Tourist seinen Zugang findet oder als Freak zu einem Priester aufsteigt. Entscheidend ist aber die Vielzahl an verschiedenen Intensitäten, die ein Beweis dafür sind, dass die Filmindustrie der Massenkultur ihre treuesten Kinogänger weit weniger unter Kontrolle hat, als man denen vorwirft. Vielleicht sind Kinofilme gerade daher in den letzten Jahren immer weniger Bestandteil von soziologischer Panikmache geworden, nachdem es durch das Fernsehen abgelöst wurde. Und mittlerweile sind gewaltverherrlichende Computerspiele Konfliktpunkt Nummer Eins. Bei dieser Flut von gesellschaftsfeindlichen Medien ist es eigentlich ein Wunder, dass unser Planet noch immer seelenruhig um die Sonne dümpelt.

Selbst im Hinblick auf weitere Aspekte des Postmodernismus, erfüllen Kultfilme nicht die gängigen negativen Ansichten. In einer Zeit, in der es nur noch Wiederholungen zu geben scheint, bilden sie die letzten Originale. Sie bieten immer etwas nie Dagewesenes, etwas Neues, das man bislang nirgendwo sonst schon einmal gesehen hatte. Bei manchen führt dies zu einem „Aha“-Erlebnis – endlich gibt es einen Film, der genau das verkörpert, was man schon immer dachte, wie man sich schon immer fühlte, es jedoch nie so deutlich auszudrücken vermochte, wie es dort auf der Leinwand geschehen war.

Kultfilme sind keine Kompromisse. Sie sind Extreme. Wenn Figuren klischeehaft überzogen werden, wenn Handlungen vollkommen absurd und unlogisch sind, und wenn die Filmwelt voll Phantastischem glänzt, dann geschieht dies in einer dem Zuschauer gefälligen Konsequenz, die dem durchkalkulierten Auftragsfilm vollkommen fremd zu sein scheint. Daher wird es auch zukünftig in mehr oder wenigen regelmäßigen Abständen Kultfilme geben, vor allem da Hollywood verstärkt auf bereits vorhandene Kulte aus anderen Medien setzt. Momentan wird der äußerst erfolgreiche und beliebte Jugendroman „Harry Potter und der Stein der Weisen“ von Warner Brothers mit hohem Aufwand verfilmt. Und laut den Reaktionen der zahlreichen Fans im Internet, ist ihm der Erfolg schon sicher. Beim Computer-spielkult „Tomb Raider“ sieht es ähnlich aus. Nicht zuletzt durch die digitale Tricktechnik wird das Film-zum-Kult-Prinzip ermöglicht. Inzwischen kann wirklich jede Phantasie auf die Leinwand gezaubert werden – und sei sie noch so gigantisch. Daher geschieht dies erst jetzt (zumindest als Realdarstellung) mit J.R.R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“ – die Bibel aller Fantasy-Fans.

Doch auch auf anderem Gebiet wird die Digitale Revolution Furore machen. Neue, gestochen scharfe Laser-Projektoren, die ihre Bilder von per Satellit übermittelten Daten bekommen, werden in die Vorführräume einziehen. Das gute alte Zelluloid, das übrigens schon längst aus Polyester besteht, hat ausgedient. Dieses Schicksal könnte übrigens bereits in naher Zukunft auch den Schauspielern widerfahren. Ende des Jahres (2001) kommt ein Film namens „Final Fantasy“ in die Kinos, der zum ersten mal mit realistisch computergenerierten Darstellern arbeitet (siehe Abb.31). Da klingt es schon fast ironisch, dass Hollywoods Schauspieler demnächst für mehr Gage streiken wollen.

Eine erste wirklich neue Ära der Filmgeschichte wird demnach erst jetzt eingeleitet. Doch egal, was für technische Neuerungen in Zukunft noch auf uns warten werden, ich wage mal die Behauptung, dass sich der zweidimensionale Film aus dem Angebot der Medien nie wieder zurückziehen wird, auch wenn das Kino schon jetzt ein wenig an Bedeutung verloren hat. Aber bereits die Erfindung des interaktiven Films als eine Form des Computerspiels hat gezeigt, dass der Zuschauer sich lieber in die Vorstellungen eines anderen fallen lassen möchte, als selbst verändernd einzugreifen. Denn nur so gelangt er über seinen eigenen Horizont hinaus, und erst dann bekommt er den Anreiz, ihn für sich neu zu erschließen. Fast jeder hat einen Lieblingsfilm, der einen bewegt und fesselt, der dem Unterbewusstsein ein Bild verleiht. Und Kultfilme sind hierbei nichts anderes als wahre Volltreffer!
 
 

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