III. SOZIOKULTURELLER KONTEXT 3. Der Fluch von Kunst und Kommerz Schon des öfteren sind bislang
Begriffe wie Populär- und Massenkultur gefallen, aber ohne nun auf
spezifische Definitionen eingehen zu wollen, ist es doch recht nützlich,
gegen Ende dieser Arbeit noch einmal kurz darauf zu sprechen zu kommen,
da gerade der Film, als vermeintlich postmodernes Medium, in der Diskussion
um Kunst und Kommerz einen hohen Stellenwert einnimmt und für so manchen
Konfliktstoff sorgt. Hierzulande erscheint dieser Konflikt derart groß,
dass die (west-) deutsche Filmproduktion seit Jahrzehnten in einer tiefen
Krise steckt, wobei es nicht den Anschein hat, als ließe sich in
absehbarer Zeit ein Ausweg finden.
Schon vor Jahrtausenden fand die intellektuelle Elite der Menschheit in dem Begriff „Kunst“ ein anregendes Gesprächsthema, das bis heute nichts an Intensität eingebüßt hat. Dabei wird die Kunst konsequent von jedem Eindruck der Massentauglichkeit ferngehalten. Selbst die postmoderne Avantgarde gab es schnell auf, die Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur abzubauen. Sollte es nun doch einmal zu Überschneidungen kommen, tritt die neumodische Bezeichnung Mainstream in Kraft – eine Art Anti-Güte-Siegel, das dem Künstler zu verstehen gibt, dass er sich eigentlich gar nicht als solcher bezeichnen darf. Als sich der Unterhaltungswert des Films nach der Jahrhundertwende (diejenige um 1900) zu etablieren begann, war er von jedweder künstlerischen Bedeutung noch weit entfernt. Akademiker und Facharbeiter mieden den Kintopp und machten gleichzeitig dagegen mobil. Dabei hatten die Filmemacher längst bewiesen, dass ihre zahlreichen Methoden, wie Beleuchtung und Kameraeinstellung, unterschiedlich emotionale Reaktionen beim Zuschauer zu bewirken vermochten. „Zur Kunst wurde der Film, indem er über die bloße Reproduktion vorgegebener Bewegungsabläufe, authentischer Vorgänge und gestellter Szenen hinausging – ohne doch seine fotographische Natur zu verleugnen -, indem er lernte, den dargestellten Gegenstand durch die in der Natur des bewegten Bildes zu interpretieren: ...“ (Gregor/Patalas 1973: 13)Erst als mit dem Drama „Der Andere“ des Regisseurs Max Mach ein Roman von Paul Lindau verfilmt wurde, forderten vor allem die verärgerten Theaterbesitzer, dass man Filme in ihrer kritischen Betrachtung den Schauspielen gleichsetzen sollte. Von nun an machte nämlich der Autorenfilm das Kino auch für höhere Gesellschaftsschichten interessant, worauf der seriöse Journalismus, der den Film zuerst ignoriert und dann bekämpft hatte, entsprechend reagierte. Die Filmkritik war geboren. (vgl. Schuster 1999: 91) Während des Nationalsozialismus wurde die Filmkritik zwar nicht unbedingt verboten, aber durch eigene Printmedien mehr oder weniger mundtot gemacht. Gleichzeitig entstand eine neue Form: die Filmbetrachtung. Hier waren es nicht mehr nur Filmkritiker, die den Leuten erzählten, was künstlerisch wertvoll war und was nicht, sondern auch Laien kamen zu Wort, die in erster Linie über ihre Erlebnisse berichteten, was indirekt zur Propaganda wurde, da in den letzten Jahren nur noch gut bürgerliche Filme in die Kinos kamen. (vgl. Schuster 1999: 122) Nach dem zweiten Weltkrieg ging es dann mit dem westdeutschen Film rasant bergab. Die wiedererstarkten Kritiker bemängelten vor allem die unrealistischen und klischeehaften Darstellungen, die der fragwürdigen Vergangenheitsbewältigung mit ihrer Straußentaktik entstammten. Gleichzeitig aber war deren eigene Vorstellung von künstlerischem Kino nicht mehr zeitgemäß. Und so kam es schließlich, dass sich die jüngeren Filmemacher mit ihrem „Neuen Deutschen Film“ abspalteten, wobei sogar das eine oder andere Ei geflogen war. (vgl. Schuster 1999: 159) Seitdem scheinen sich beide Seiten in ihren Kritiken gegenseitig verreißen zu wollen, was letzten Endes keinem sonderlich geholfen hat, denn auch in der Filmlandschaft gilt: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte! Von den Streithähnen scheinbar unbemerkt hatten sich die „normalen“, aber vor allem zahlenden Zuschauer neue Kritiker gesucht, die sich aus dem Konflikt schlichtweg heraushielten. „Während die ersteren normativ zwischen „schlechten“ Filmen, die Produkte einer „Kulturindustrie“ sind, und „guten“ Filmen, die von einer künstlerischen Avantgarde hervorgebracht werden, differenzieren, hat für die „Neuen Wilden“ diese Differenz kaum eine Bedeutung. Für sie ist ihr Erlebnis des Films Ausgangspunkt der Analyse und Kritik.“ (Winter 1992: 88)Der deutsche Film war dabei kaum noch von Belang. Hollywood wurde zur unumstrittenen Nummer Eins. Als die „seriösen“ Filmkritiker ihre Ignoranz bemerkten, war es zu spät. Von den normalen Kinobesuchern hörte ihnen keiner mehr zu. Alleine deren offen erklärte Voreingenommenheit disqualifizierte sie als objektive Kritiker gegenüber den vermeintlich minderwertigen Unterhaltungsfilmen der Massenkultur. Und so bleibt die intellektuelle Elite mit ihrer anti-postmodernen Mission seitdem (zwangsläufig) unter sich, was viele nicht einmal negativ sehen, und wird nicht nur von den eigentlichen Konsumenten, sondern auch von den Filmfans gnadenlos ignoriert – eine Situation, die ein Teilnehmer meiner Umfrage mit seiner Äußerung genau auf den Punkt brachte: „Ich hasse Kunst-Filme!“ Inzwischen haben sich die (post-)modernen
Cineasten ihr eigenes Feuilleton abseits von allen erhoben Zeigefingern
geschaffen, in dem die Literatur der Film, das Gemälde das Plakat
und die Musik der Soundtrack ist. Und Kultfilme sind die Meisterwerke.
Selbst Elemente der Hochkultur kommen als Filmmusik, wie Beethovens „Ode
an die Freude“ im Actionklassiker „Stirb Langsam“, zu ganz neuen Ehren.
„Entertainment ist kein Schimpfwort, sondern im besten Fall ein Synonym für Kunst. Das gilt auch umgekehrt – jedenfalls in einer Massenkunst wie der des Kinos, die für Hochmut keinen Raum lässt.“ (Karasek 1994: 15) „Junger Mann, diese Erfindung ist nicht zu verkaufen, und für Sie wäre sie der Ruin. Mann kann sie einige Zeit als wissenschaftliche Kuriosität ausbeuten, aber davon abgesehen besitzt sie keine kommerzielle Zukunft.“ (Antoine Lumière [aus Gregor/Patalas 1973 : 14])Wenn der Vater der berühmten französischen Filmpioniere damals gewusst hätte, was für eine kulturelle Lawine seine beiden Söhne mit ihrer Erfindung losgetreten hatten, hätte er die Nachfrage eines potentiellen Käufers sicherlich anders beantwortet. Nach dem rasanten Aufstieg dieses Mediums und den Jahren des Erfolgs ging es mit dem Erscheinen des Fernsehens dann ebenso rasant wieder bergab. In Hollywood wurde das Kino gerettet, indem es sich deutlich von dem Fernsehen zu unterscheiden begann – zuerst durch Farbe und schließlich durch Aufwand und Größe. Heute steht die amerikanische Filmindustrie unangefochten an erster Position, doch gegenwärtig ist sie weiter denn je davon entfernt, als dass man die finanzielle Situation als stabil bezeichnen könnte. Selbst 100 Jahre Erfahrung konnten nicht verhindern, dass sich die Lage nicht nur nicht abschwächte, sondern im Gegenteil noch weiter zuspitzte. In den letzten zwanzig Jahren sind die durchschnittlichen Kosten von Hollywoodproduktionen um satte 448 Prozent auf nun schätzungsweise 50 Millionen Dollar gestiegen. Dagegen steht eine Einnahmensteigerung von lediglich 100 Prozent. Konnte man damals noch mit jedem fünften Film die Verluste der anderen ausgleichen, gelingt dies heute nur noch mit jedem zehnten. (vgl. Schütze 2001) In diesem Dilemma kommt den Produzenten jeder Kultfilm wie gerufen – am besten einer, dem es gelingt, mit einem möglichst geringen Budget möglichst viele und treue Fans zu mobilisieren. Dummerweise haben sich diese Erfolge in den wenigsten Fällen vorhersagen lassen. Selbst „Krieg der Sterne“ lief in den amerikanischen Kinos mit gerade mal sechs Kopien an. Und so versucht man durch Umfragen und Testvorstellungen herauszufinden, was die Leute am liebsten sehen möchten. Drehbücher werden nach belieben umgeschrieben, Romanvorlagen degenerieren zu bloßen Ideen und selbst wenn der Film fertig ist, wird teilweise noch Monate später ein neues Ende gedreht. All diese Vorsorgemaßnahmen trifft Hollywood nun schon seit mehr als fünfzig Jahren. Trotzdem sind Kultfilme selten wie eh und je. Anscheinend wollen sie einfach nicht den Gesetzen des Marktes gehorchen, denn oft bleiben sie von den eben beschrieben Methoden verschont, die letztlich nur dazu führen, dass Filme zu Kompromissen werden, die möglichst vielen gefallen sollen. Kultfilme jedoch sind auch hier ein Extrem: Während die einen sie lieben, werden sie von den anderen verflucht. Dazwischen gibt es fast nichts. Da man den Geschmack der Zuschauer
an einer Handlung demnach nur schwer vorhersehen kann, setzt Hollywood
auf seine technischen Wunderwerke: Effekte und eine gewaltige Anzahl von
Kopien, die die Produktionskosten in oben beschriebene Höhe schnellen
ließen. In dieser Ära der Mega-Produktionen schlug im Jahre
1999 ein kleiner Independent-Film wie eine Bombe ein: „The Blair Witch
Project“. Mit gerade mal 32.000 Dollar produziert spielte er alleine in
den USA satte 140 Millionen ein – vom Verhältnis her gesehen der erfolgreichste
Film der Kinogeschichte. Dabei wurden sämtliche Erfolgsregeln des
Kinos rigoros über Bord geworfen. Gedreht mit vollkommen unbekannten
Schau-spielern, die selbst im Film ihre Namen behielten, und mit einer
Video- und 16mm-Kamera, die nicht einmal Breitbildformat erreichten. Auch
verwackelte, unscharfe und sogar vollkommen schwarze Szenen waren zu sehen
bzw. eben nicht. Das Drehbuch war mehr oder weniger improvisiert. Trotzdem
wurde der Film ein gewaltiger Erfolg. Der äußerst authentische
Stil erzeugte beim Publikum ein nie gekanntes Grauen. Allerdings verließen
auch viele Zuschauer fast zu Tode gelangweilt den Saal. Ein Kultfilm, wie
er im Buche steht. Gleichzeitig knüpfte er eine neuartige Verbindung
zu einem gerade aufstrebenden Medium. Auf der Internetseite wurde das merkwürdige
Verschwinden der Filmfiguren als real dargestellt, was für eine riesige
Mundpropaganda sorgte. Als der Film dann mit wenigen Kopien in ebenso wenige
Kinos kam, war jede Eintrittskarte heiß begehrt.
Während sich der amerikanische Film durch einen enormen Aufwand vom Fernsehen unterscheiden wollte, verfolgte die westdeutsche Filmindustrie eine ganz andere Strategie. Hierzulande schrieben sich Produzenten und Regisseure das Wort „Kultur“ in Großbuchstaben auf die Fahnen. Das Ergebnis ist bekannt: Niemand wollte solche Filme sehen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Liste der deutschen Kultfilme eher kurz ist. Bis auf „Die Feuerzangenbowle“ gibt kaum einen, der sich diesen Titel während der Tonfilmära verdiente. Lediglich die Comicverfilmung „Der bewegte Mann“ (BRD 1994) kam ihm noch am nächsten, was zu einer wahren Flut an Nachahmern führte. In den folgenden Jahren vertrieben zahlreiche Beziehungskomödien die Zuschauer nach und nach aus dem deutschen Film, die für einen kurzen Augenblick einen Hauch von Interesse gezeigt hatten. Doch ein Unterschied zwischen Kino und Fernsehen war nicht mehr erkennbar. Weder Regisseure noch Kameraleute schienen auch nur ansatzweise etwas von den stilistischen Möglichkeiten gehört zu haben, die ihnen die große Leinwand bot. Trotz des hohen kulturellen Anspruchs der Filmförderung erreichten inländische Produktionen zumeist lediglich den Charme einer ZDF-Vorabendserie. Neuen Anlass zur Hoffnung gab 1998 Tom Tykwer mit seinem Film „Lola Rennt“, der gleich zum Kultfilm avancierte. Einfach alles an ihm war neu. Die Figuren, die Handlung, die Kamerafahrten, die eigenartige Komposition diverser Stilelemente (z.B. Zeichentrick) und nicht zuletzt die drei komplett verschiedenen Enden, die jeweils durch eine winzige Veränderung eingeleitet wurden. „Der Film strotzt vor Dynamik, ist leidenschaftlicher und lustvoller als jede andere einheimische Produktion der letzten zehn Jahre und schenkt den Zuschauern das coolste Happy-End, das aus vier Wörtern bestehen kann.“ (Rosner 1998: 69)Eine Welle der Euphorie ging durch die Kinolandschaft, die schnell auf Filmförderung und Produzenten übergriff. Es wurde praktisch alles gefördert, was irgendwie jung und spritzig klang. Doch die erhoffte Wende blieb aus. Bereits zwei Jahre später titelte das Kinomagazin Cinema im Dezember 2000: „ Zu langweilig, zu selbstgefällig und vor allem zu teuer: Die KRISE des heimischen Kinos weitet sich zur Katastrophe aus.“ Obwohl durch ansehnliche Computereffekte die durchschnittlichen Produktionskosten für einen deutschen Film inzwischen auf acht Millionen D-Mark angestiegen sind, bleibt der Zuschauer weiterhin fern. Der Grund hierfür ist aus der Ansicht des Kulturstaatsministers Julian Nida-Rümelin zu ersehen. Seiner Meinung nach haben Bund und Länder mit ihrer Filmförderung folgende Aufgabe: „Nämlich den Kinofilm als Kunstwerk und den Kinofilm in seiner kunsthistorischen Entwicklung präsent zu halten.“ (aus einem Interview des Fernseh-Magazins TV-Spielfilm Anfang 2001)Das Erreichen einer bestimmten Zuschauerzahl ist dabei weniger von Belang. Und an dieser Stelle sei noch einmal an den im vorherigen Abschnitt erwähnten Standpunkt des Umfrage-Teilnehmers erinnert. Das konsequente Ignorieren der Bedürfnisse der Zuschauer paarte sich in den letzten zwei Jahren mit einem Hang zur Geldverschwendung. So kostete die Verfilmung der Lebensgeschichte Marlene Dietrichs stolze 15 Millionen Mark, die das eher jüngere Kinopublikum allerdings nicht im geringsten interessierte. Auch auf internationaler Ebene vermag der deutsche Film inzwischen niemanden mehr zu begeistern. Selbst den eher künstlerisch angehauchten Filmfestspielen von Cannes ist die aufgezwungen wirkende Kultur Made in Germany keine Nominierung wert – schon seit acht Jahren hintereinander. Was der deutschen Filmindustrie
meiner Ansicht nach eindeutig fehlt, sind Filmemacher, die nicht nur entweder
uninspirierte Auftragsarbeiten oder eigensinnige Kunst abliefern. Beides
will der Zuschauer nämlich nicht sehen. Und nicht selten bekommt man
sogar den Eindruck, als würde man für dumm verkauft. Als im Kino
der Trailer zum aktuellen Film „Das Experiment“ lief, lachten viele im
Publikum über die offensichtlichen Parallelen zur amerikanischen Stilistik,
die lediglich wie eine billige Kopie wirkten. Auch wenn deutsche Schauspieler
in Interviews behaupten, dass ihr Film es durchaus mit Hollywood aufnehmen
könnte, ist dies bislang immer der Beweis gewesen, dass er es definitiv
nicht kann.
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*1 | Storyboards sind gezeichnete Szenenabläufe, nach deren Vorlage Einstellungen gedreht werden. |