I.3. Gedanken zur PostmoderneInhaltsverzeichniswww.bleyenberg.deII.2. Beispiele
 

II. DAS PHÄNOMEN

1. Zum Begriff „Kultfilm“

Seit nunmehr einhundert Jahren scheinen beide Seiten des Filmgeschäfts genau zu wissen, was einen guten Film ausmacht. Die Produzenten der großen Mainstream-Produktionen setzten auf aufwendige Unterhaltung, was die Künstlergemeinde als Kriterium für Hochkultur kategorisch ausschließt. Doch zwischen diesen Fronten steht eine große Unbekannte: das Publikum. Selten verhält es sich so, wie es die finanzstarken Studios gerne hätten. Bei der Geschichte Hollywoods und unter den Aspekten der Filmsoziologie wurde bereits auf die großen Flops der Filmgeschichte hingewiesen, deren Ursachen bis heute ein großes Rätsel bleiben, was die Planung neuer Filme aufgrund dieser Variablen verständlicherweise nicht unbedingt leichter macht und die Durchführung filmischer Experimente ebenfalls erschwert.

Weist man an dieser Stelle nun auf die sogenannten „Kultfilme“ hin, würde sich so mancher Studioboss frustriert die Haare raufen, sollte er nicht  zu den gehören, denen ein solcher Glückstreffer gelungen ist. Denn anders kann man sich dieses Phänomen zunächst nicht erklären. Auch die wenige Literatur zu diesem Thema beschränkt sich auf eine subjektive Katalogisierung jener Filme. Eine Erklärung wird zumeist nur recht kurz gegeben, um die Anzahl der Filme auf einhundert begrenzen zu können, obwohl auch dann noch viele außen vorbleiben. (vgl. Hahn/Jansen 1998: 9) Wenn dann doch eine genauere Definition versucht wird, wird oftmals auf die Qualität hingewiesen, wobei hier nicht nur der künstlerische Wert in Frage gestellt wird. Es kommt allerdings auch vor, dass sich die Autoren selbst wiedersprechen. So stellen Adolf Heinzelmeier, Jürgen Menningen und Bernd Schulz in ihrem Buch „Kultfilme“ (1988) eine Liste von 41 Merkmalen zusammen, die einen Kultfilm definieren soll. Während unter Punkt 12 noch unmissverständlich festgestellt wird, dass Sie nichts mit Kunst zu tun haben, wird bereits zwei Punkte später erklärt, das gerade Avantgarde-, Experimental- und Undergroundfilme besonders dafür prädestiniert sind, Kultfilme zu werden. Dabei sind es gerade jene Begriffe, die Kritiker verwenden, um Hochkultur von Massenprodukten zu differenzieren. Und selbst hier gibt es weitere Unstimmigkeiten, denn so wird längst nicht jeder Publikumserfolg zu einem Kultfilm. Eine klare Abgrenzung von anderen Filmen, vor allem der Kassenschlager oder Klassiker, ist aus qualitativen Gesichtpunkten also kaum möglich. Jedoch gibt es einen Indikator, der bei allen unumstritten ist: Zu einem Kult gehören Kultisten. 

„Erst wenn eine spezielle Zuschauergruppe durch einen Film (und nicht etwa durch geschickte PR-Maßnahmen) veranlasst wird, sich zu aktivieren, d.h. im Zusammenhang mit diesem Film eigene Kreativitäten zu mobilisieren, kann man von einem Kultfilm sprechen. Kultfilme werden also auch „gemacht“, aber nicht von Produzenten, sondern von einem Teil der Konsumenten, den Kultisten.“ (Hahn/Jansen 1998: 10)
Diese Äußerung ist fast wortwörtlich auch bei Rainer Winter (vgl. Winter 1995: 106) zu finden und macht klar, worauf es bei Kultfilmen wirklich ankommt: Auf das Wechselspiel zwischen Film und Rezipient. Wie diese Kreativität nun letztlich aussieht, soll in dieser Arbeit an späterer Stelle genauer beschrieben werden, doch zunächst bleibt zu bemerken, dass Kultisten und Filmkritiker zumeist getrennte Wege gehen. Diese „süchtigen Freaks“ (vgl. Heinzlmeier/Mennigen/Schulz 1988: 16, 17) werden vor allem im Zusammenhang mit der bemängelten Qualität des jeweiligen Films gesehen. Handlung und Figuren seien klischeehaft und unzureichend ausgeformt (vgl. Winter 1995: 105), doch gerade das erlaubt dem Publikum, den Film auf individuelle Art und Weise zu verarbeiten und einen persönlichen Zugang zu finden. Spricht der Film zudem universelle Themen an, die die Grundlagen für persönliche Belange, Träume und Angste bilden, kann dies bei dem Zuschauer eine Art Schlüsselerlebnis hervorrufen.
„Sie haben ein bestimmtes Zielpublikum nachhaltig fasziniert, bewegt, schockiert oder auf eine andere Weise dessen Gefühle extrem aufgewühlt.“ (Steiner/Habel 1999: 4)
Wann einem Film dies gelingt, hängt jedoch besonders von den ver-schiedenen Lebenssituationen der Rezipienten und dem „Lebensgefühl“ zur Zeit der jeweiligen Vorführung ab. So traf „Easy Rider“ (USA 1969) mit seiner Illusion von der amerikanischen Freiheit genau den Nerv der damaligen vom Vietnamkrieg verstörten Jugend (vgl. Hahn/Jansen 1998: 147). Heute hingegen ist den Jugendlichen dieser Film nahezu unbekannt, während „Matrix“ mit der philosophischen und zugleich postmodernen Frage, ob die nicht nur die Freiheit, sondern die gesamte Realität pure Einbildung sei, als der Kultfilm der 90er gefeiert wird.
„Jede Generation hat ihre Kultfilme.“ 
                                    (Heinzlmeier / Mennigen / Schulz 1988: 8)
Da Handlung und Aussagen also abhängig von den Zeichen der Zeit sind und sich demnach im Laufe der Jahre in einem bestimmten Rahmen verändern können, kann die Erhebung eines Films in den Kultstatus aber auch nachträglich erfolgen. Zum Beispiel waren „Casablanca“ (USA 1942) oder „Die Feuerzangenbowle“ (Dt. 1943) schon immer Klassiker, doch erst Jahre später konnte gerade letzterer eine kultartige Fangemeinde bilden. Was nun genau ein Klassiker ist, soll hier nur am Rande erläutert werden: Es sind in der Regel Filme, die ein großes Publikum erreichen konnten und repräsentativ für eine Art des Filmemachens stehen. Oft haben sie daher eine große Anzahl Fans und werden gleichzeitig zum Kultfilm. Aber es gibt auch den umgekehrten Weg. So wurde „Blade Runner“ (USA 1982) anfangs nur von einer kleinen Schar Science-Fiction-Fans verehrt, doch durch seine ästhetische Komplexität und sein düster philosophisches Thema wurde er später zu einem Filmklassiker der 80er-Jahre. (vgl. Winter 1995: 107) Auch erlaubt seine Kombination verschiedener Stile (z.B. Film noir und Romanze) vielfältige Interpretationsmöglichkeiten – eine Eigenart, die uns schon bei den Gedanken zur Postmoderne begegnet ist.

Neben diesen Überlegungen gibt es natürlich noch weitere Faktoren, die man bei einem Kultfilm anführen kann. (vgl. Steiner/Habel 1999: 7-14) Das Thema alleine reicht niemals aus. Meistens ist es eine Kombination aus verschiedenen Aspekten, wie zum Beispiel mit einer höchst originellen Handlung („Pulp Fiction“ [USA 1994]) oder prägnanten Figuren (Indiana Jones aus „Jäger des verlorenen Schatzes“ [USA 1981]). Aber es können auch andere Dinge sein, die dem Zuschauer besonders im Gedächtnis bleiben, wie zum Beispiel die Abschiedsszene aus „Casablanca“ oder die unheimliche Atmosphäre in Hitchcocks „Psycho“. Dass alles harmonisch zusammenspielt, liegt letztlich in der Verantwortung des Regisseurs, der ein Gespür für den Film haben muss. Viele Kultfilme sind daher selten Auftragsarbeiten, sondern persönliche Projekte eines Regisseurs oder Autors, der dann als Initiator des Film gleich mehrere Aufgaben übernimmt. Bei „Blues Brothers“ (USA 1979) haben Darsteller Dan Aykroyd und Regisseur John Landis gemeinsam das Drehbuch verfasst, und bei „Easy Rider“ übernahmen Peter Fonda und Dennis Hopper neben den Hauptrollen auch die Produktion, die Regie und ebenfalls Teile des Drehbuchs.
All die oben genannten Aspekte treffen zwar häufig zu, doch selbstverständlich ist dies nicht zwingend notwendig. Es sind lediglich Indikatoren für einen Kultfilm, und um die Verwirrung zu vollenden, müssen hier auch die Filme erwähnt werden, die zum Kult geworden sind, weil sie sämtliche Regeln der Kunst vollständig über Bord geworfen haben: die sogenannten „Trash“-Filme (übersetzt: Müll oder Schund). So wird der Streifen „Angriff der Killertomaten“ (USA 1978) als schlechtester Film aller Zeiten beworben und kam gerade aus diesem Grund zu seiner Fangemeinde. (vgl. Steiner/Habel 1999: 17)

Als letztes bleiben dann noch jene Meilensteine der Filmgeschichte, die durch ihre Innovationen die Zuschauer mitreißen konnten und zum Teil ganze Genres kreierten. Die Effekte aus „King Kong und die weiße Frau“ (USA 1939) sind aus heutiger Sicht mehr als dürftig, doch damals hielten die geschockten Zuschauer den Gorilla für real.  In „Die Spur des Falken“ (USA 1941) gab es zum ersten mal den „Antihelden“, was die sogenannte Schwarze Serie eröffnete, und bei „Psycho“ gelang es Alfred Hitchcock mit nie gesehenen Kameraeinstellungen und narrativen Besonderheiten seine berühmte „Suspence“-Atmosphäre zu erzeugen.

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