I.2. Aspekte der FilmsoziologieInhaltsverzeichniswww.bleyenberg.deII.1. Zum Begriff Kultfilm

I.BASIS
3. Gedanken der Postmoderne

Der Begriff der Postmoderne ist in der gegenwärtigen Soziologie eines der ungenauesten Schlagworte überhaupt und gehört zu den Streitpunkten der letzten Jahrzehnte. Inzwischen wird in nahezu jedem Buch, das man zu diesem Thema in die Hände bekommt, gleich auf der ersten Seite dem Leser erklärt, dass man sich von einer endgültigen Definition weitgehend distanzieren möchte. (vgl. Huyssen/Scherpe 1997: 7) Statt dessen versucht man des Rätsels Lösung, wodurch sich eine postmoderne Gesellschaft nun eigentlich kennzeichnet, über umfassende Beschreibungen einzelner Punkt näher zu kommen. Das Hauptproblem dabei ist, exakte Unterschiede zur Hochmoderne zu finden, die etwa um 1800 ihren Anfang nahm. Der Beginn der Frühmoderne ist um 1600 anzusiedeln. (vgl. Wiemker 1998: Abschnitt III.1.) Es scheint also alles eine Frage der Epochen zu sein. Zwar wird der Beginn der Postmoderne ungefähr mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 zusammengelegt, doch seitdem zum ersten mal jener Begriff gefallen war, herrscht eine angeregte Diskussion (um es vorsichtig auszudrücken) unter Kulturkritikern und Analysten aller Nationen. Die entscheidende Frage bei den Soziologen lautet, wann der Umbruch oder Übergang von einer strukturierten Gesellschaft zur Massenkultur stattgefunden hat (vgl. Huyssen/Scherpe 1998: 7) und vor allem, wie dieses zu bewerten sei. Die recht unterschiedlichen Ansichten werden hier besonders bei den USA und Deutschland sichtbar. Während in Amerika die Postmoderne eher als Relationsbegriff verwendet wird, scheint in Deutschland eine regelrechte Panikmache zu herrschen. Vom Verrat und dem Tod der Moderne wird gesprochen – eine Art Schwarze-Löcher-Theorie ist entstanden. Dies könnte daran liegen, dass die Einführung von Massenmedien (wie Radio und Film) in den USA relativ gleichmäßig abgelaufen war, während Europa durch die Weltkriege zeitweise in eine Art Winterschlaf versetzt wurde, worauf der technische Fortschritt in regelrechten Schüben erfolgte.

„Die deutschen Diskussionen scheinen viel stärker von traditionellen Dichotomien wie Fortschritt/Rückschritt, Vernunft/Mythos, links/rechts, Geschichte/Geschichtsverlust, Verstand/Sinne etc. bestimmt zu sein, aus denen sich dann eine absolute Gegenüberstellung von Moderne und Postmoderne ergibt.“ (Huyssen/Scherpe 1998: 9)
Statt dessen sollte man laut Andreas Huyssen eher einen Blick in die Geschichte werfen, um nach expliziten Veränderungen in der Kultur zu suchen, als sich bei sämtlichen Diskussionen von dem Motto „Früher war eh alles besser!“ leiten zu lassen. Daher versucht er, mit Hilfe einer Zusammenfassung der historischen Entwicklung des Begriffs „Postmoderne“ ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Jenes Schlagwort hielt vor allem im Amerika der 50er-Jahre Einzug in die Kulturwelt. Damals bemängelten junge Künstler die elitäre Abgehobenheit der modernen Hochkultur und forderten, die Kunst als solche populärer zu gestalten. Die Kunst der Moderne stand für Futurismus, Realismus oder Expressionismus, alles Begriffe, mit denen der Normalbürger – ähnlich wie beim Film – nicht viel anzufangen wusste. (vgl. Huyssen 1997: 13,14)  Aus dieser Sichtweise konnte man durchaus behaupten, dass mit der Postmoderne ein kultureller Umbruch geschehen sollte. Vor allem aber sollte sich ein amerikanischer Stil von der europäisch internationalen Kunst etablieren, was auch schließlich gelang: Während der 60er schossen in den USA avantgardistische Museen und Galerien wie Pilze aus dem Boden. 

Besonders deutlich lässt sich dieser Umbruch an der Architektur nachvollziehen, da die verschiedenen Baustile hier für jedermann noch am offenbarsten und eigentlich nicht allzu leicht zu übersehen sind. Dort stand die Moderne für einen schlichten Funktionalismus. Schnell sollte sich jedoch herausstellen, dass sich die Menschen in den trostlosen Betonkästen, die in jener Zeit entstanden, nicht sonderlich wohl fühlten. Sie verlangten nach altmodischer Gemütlichkeit – nach Traditionen. Der Fortschritt wurde hier als eine negative Entwicklung empfunden, und die Sprengungen solcher Siedlungen in den 70ern (Photo) wurden zum Symbol des unumgänglichen Bruchs mit der Moderne. 
Nachdem nun die triviale Popkultur als echte Kunst galt und vor allem in der Musik mit Rock’n’Roll für einen echten Generationenkonflikt sorgte, kam in den 70ern dann eine Art Flaute in die Bewegung der Avantgarde. Die Weiterentwicklung neuer Stilrichtungen blieb aus, was dazu folgte, dass sich Künstler bei vorhergegangenen Epochen bedienten und deren Eigenarten in ihre aktuellen Werke einfließen ließen. 

„Die Situation in den siebziger Jahren ist eher gekennzeichnet durch eine breitgestreute Dissemination künstlerischer Verfahren, die allesamt die Ruinen von Avantgarde und Modernismus ausschlachteten, deren Vokabular plünderten und es mit Bildern und Motiven aus der Vormoderne oder aus schlechthin nicht-modernen Kulturen versetzen.“ (Huyssen 1997: 24)
Zudem schien man, seine alten Forderungen nach mehr Publikumsnähe vollkommen vergessen zu haben, jedenfalls können derzeit nur noch sehr wenige Menschen etwas mit den abstrakten Werken zeitgenössischer Künstler anfangen. Ähnlich wie beim amerikanischen Independent-Film kamen innovative Impulse lediglich von Minderheiten, die insbesondere in den gestalterischen Künsten ihren persönlichen Traditionen folgten und auf diesem Wege weitere Differenzierungen innerhalb der Kulturlandschaft begünstigten.
Mit der nun einsetzenden kulturellen Entwicklung schienen Moderne und Postmoderne endgültig miteinander zu verschmelzen. Die Grenzen verschwammen, und seitdem steht die postmoderne Kultur für das verlassen der Linearität. (vgl. Wiemke 1998: Abschnitt III.1.) Im Spannungsfeld stehen Gegensätze von Tradition und Innovation, von Massenkultur und hoher Kunst. (vgl. Huyssen 1997: 41)

Gerade in Europa wurde die Diffusion vom amerikanischen „Way of Life“ mit europäischer Tradition recht deutlich, was vermutlich ebenfalls dazu geführt hat, dass das Thema hierzulande fast ausschließlich negativ belegt ist und allgemein als Amerikanisierung bezeichnet wird. Bemängelt wird dabei das Vergessen bürgerlicher Traditionen und Werte – eine Meinung, die den aufgekommenen Neokonservatismus charakterisiert. Und an diesem Punkt tritt ein Paradox zu Tage, denn ursprünglich (und gegenwärtig noch immer) verband man mit der Rückkehr zur Tradition gerade den Postmodernismus. Bei der Filmanalyse benutzen etablierte Kritiker diesen Begriff häufig, um altmodische Richtungen und fehlende Innovationen zu beschreiben. (vgl. Rost 1998: 12)
Inzwischen hat die Postmoderne auf sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens übergegriffen – egal ob Literatur, Philosophie oder Politik, überall beschreibt dieser Begriff das Verlassen gewohnter Richtungen. Die Befürworter des Postmodernismus (sofern sie sich überhaupt als solche beschreiben würden) sehen die angeregte Diskussion als recht übertrieben an. Sie bezeichnen ihn nicht als eine neue Epoche, sondern eher als ein ganzes Spektrum von verschiedenen Stilrichtungen. Zum Beispiel Mike Fetherstone kann man zu jenen zählen. Ebenso wie Andreas Huyssen beschreibt er, wie die Soziologie auf jene kulturellen Veränderungen reagieren sollte. Anstatt sich wie gewohnt auf einzelne Gruppen zu konzentrieren und der Vorstellung zu folgen, dass jede Epoche irgendwann sein unwiederbringliches Ende haben wird, sollte man sich längerfristig und über einen größeren Zeitraum hinweg mit der postmodernen Fragestellung befassen – insbesondere, wer Produzent und Träger von massenkulturellen Produkten ist.

„Eine weitere Möglichkeit könnte noch in der Annahme bestehen, dass sich bestimmte Entwicklungen, langfristige Prozesse, kumulativ zu einem endgültigen Bruch verdichtet haben, der den historischen Prozess zerrissen hat, um eine neue post-gesellschaftliche Konfiguration hervorzubringen: postmoderne Kultur.“ (Fetherstone 1990: 216)
Seitdem beschäftig sich die Soziologie mehr oder weniger mit der Frage, was die Postmoderne eigentlich bedeutet. Ist es Wiedergeburt oder der Untergang von Traditionen? Ist der weltweite Neokonservatismus eine Gegenbewegung oder Teil des Ganzen? Die ungeheure Vielzahl an Meinungen und Stellungnahmen zeigt deutlich, dass diese Wissenschaft von einer möglichen Lösung weiter entfernt ist als je zuvor. Mike Sandbothe erklärt sich den Streit durch Missverständnisse, die aus dem legitimen Anspruch der postmodernen Kultur eine Art Schicki-Micki-Bewegung gemacht haben. Doch seiner Meinung nach will die Postmoderne weder eine neue Epoche darstellen, noch will sie die Moderne ersetzten. Alleine das eine Wort beinhaltet schon das andere. (vgl. Sandbothe 1998: 44) Auch die Beschuldigungen, der Postmodernismus sei eine Kultur des Chaos und der absoluten Beliebigkeit, konnten nur durch Übertreibungen entstehen, die schließlich einen „Anything goes“-Mythos hervorgebracht haben. Statt dessen ist er ein Wahrnehmungsstil, den es schon immer gegeben, der aber erst jetzt die Möglichkeit zur Rehabilitierung im Alltag gefunden hat.
„Ihre These ist vielmehr die, dass es in der Geschichte des Denkens immer schon eine Vielzahl von Denkern, Wissenschaftlern, Künstlern und Praktikern gegeben hat, denen klar war, dass die Wirklichkeit selbst alles andere als einheitlich und ordentlich ist und die daraus den Schluss gezogen haben, dass wir lernen müssen, in Vielheiten und Halbordnungen zu denken und auf Unberechenbares, Uneinholbares und Nicht-Systematisierbares zu achten.“ (Sandbothe 1998: 50)
Demzufolge war auch die Moderne selbst nie so gradlinig, wie es deren Verteidiger uns weismachen wollen.
In der Quantenphysik gilt der Spruch: „Wer sich mit ihr befasst und nicht wahnsinnig wird, hat sie nicht annähernd verstanden!“ Und nachdem ich nun etliche Bücher wie Aspirin konsumiert habe, kann ich behaupten, dass dies auch für die Postmoderne gilt.

Natürlich ist der „Wahnsinn“ auch am Film nicht vorrübergegangen, womit uns an dieser Stelle der lang erwartete Brückenschlag zum eigentlichen Thema dieser Arbeit gelungen wäre. Hier benutzen alteingesessene Filmkritiker den Begriff der „Postmoderne“ mehr oder weniger für schlichtweg jeden Film, den sie als Banalität bezeichnen. Auf diese recht bequeme Art und Weise gelingt es der intellektuellen Elite, sich von vornherein nicht ernsthaft mit Massenwahre auseinandersetzen zu müssen. (vgl. Rost 1998: 12) Deren Aversion gegen Hollywood führt jedoch dazu, dass in Zeiten, in denen sich die offenbar auflösenden Grenzen zwischen Pop- und Hochkultur, jeder Künstler aus diesem Erdteil vorschnell als reiner Fabrikant verkannt wird.

Auch Frederic Jameson hat sich mit dem Thema Film innerhalb der Diskussion näher gewidmet und beklagt ebenfalls mehr oder weniger die Faszination für Kitsch und Ramsch, die sich besonders in B-Movies manifestiert. (vgl. Jameson 1997: 46) Bei ihm ist neben der Architektur auch das Bild (in Form von Gemälden und Film) Ausdruck einer diffusen postmodernen Kultur. Wo früher ein Gemälde die Realität wiederspiegeln und dem Betrachter eine eindeutige Botschaft übermitteln wollte, wird diese in der Popkultur eindeutig absichtlich vermieden. Anstelle der ausdrucks-starken Tiefe tritt eine Vielzahl von Oberflächen, von denen jede einzelne verschieden interpretiert werden kann. (vgl. Jameson 1997 : 58) Die Bedeutung eines Bildes bleibt also letztlich jedem Rezipienten selbst überlassen, was Jameson als das Schwinden des Affekts bezeichnet. Gleichzeitig aber beton er, dass man die postmoderne Kunst nun nicht als gefühllos bezeichnen sollte. Allerdings sieht er den Verlust an Ernsthaftigkeit eindeutig negativ und kritisiert ebenfalls die anscheinend über alles schwebende Euphorie der Anything goes-Generation.
Beim Film führt diese vermeintlich neue Freiheit mitunter zur Konstruktion ganz neuer Wirklichkeiten. Gerade in nostalgischen Streifen wie „American Graffiti“, in dem die Jungend der 50er mit all ihren Klischees dargestellt wird, werden historische Ereignisse auf die ebenso klischeehaften Vorstellungen der heutigen Gesellschaft von jener Zeit angepasst.

„Wir selbst finden uns wieder in der <Intertextualität> des Films, und zwar als bewusst eingeplanter Bestandteil des ästhetischen Effekts. Die Konnotationen von <Vergangenheit> und pseudohistorischer Tiefe werden so auf eine neue Art funktionabel. Die <wirkliche> Geschichte wird durch die Geschichte verschiedener Stile ersetzt.“ (Jameson 1997: 65)
Den postmodernen Film sowie generell unsere gegenwärtige soziokulturelle Situation plagen demnach das Verschwinden der Realität. In einer Epoche, wo Original und Kopie kaum noch voneinander zu unterscheiden sind - bei der digitalen Reproduktion ist dies gar nicht mehr möglich – besteht die Gefahr, dass das Imitat als Wirklichkeit angesehen wird. Und beim Film stellt sich daher die Frage, ob Fiktion und Realität nicht schon längst ineinander verschmolzen sind. Eben diese Thematik wird nicht nur durch das Medium verkörpert, sondern im Film selbst behandelt – nicht zuletzt ein Umstand, dem wir heute die intensivsten Filmkulte zu verdanken haben.

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