I. BASIS
1. Die Geschichte
des Films
Wenn man sich mit einem bestimmten
Phänomen des Films beschäftigt, ist es unerlässlich, wenigstens
einen kurzen Blick in die Geschichte zu werfen. Vor allem die Entwicklung
des deutschen Films wird bei der Betrachtung der letzten 100 Jahre sehr
viel verständlicher – nicht zuletzt aufgrund dessen Bedeutung im nationalsozialistisch
regiertem Deutschland. Während und nach dieser Periode hat sich die
Entwicklung im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn in eine
ganz eigentümliche Richtung bewegt, so dass die gegenwärtige
Situation in unserem Lande grundlegend verschieden ist.
Weltweit gesehen lässt sich
die Geschichte des Films in sechs Zeitabschnitte einteilen. (vlg. Gregor/Patalas
1973: 11) Die erste begann zirka um 1900 mit der Erfindung der Filmkamera
und endete mit dem ersten Weltkrieg und der Entstehung der Stummfilmindustrie
1919, die bereits zehn Jahre später mit dem Tonfilm eine neue Dimension
erreichte, aus der sich schließlich die nationalen Unterschiede ergaben.
Die vierte Periode setzte 1939 zeitgleich mit dem zweiten Weltkrieg ein.
Während dieser Zeit war Europas Filmevolution fast vollständig
von Amerika abgetrennt. Hinzu kamen dramatische Einschnitte, verursacht
durch die politischen Wirren, deren Auswirkungen bis weit in die Nachkriegszeit
(gerade in der jungen Bundesrepublik Deutschland) zu spüren waren.
Ab 1960 begann sich der Film in seiner sechsten Entwicklung von der Historie
zu trennen, und eine neue Generation von Filmemachern trat in den Vordergrund.
Der erste Teil dieses Abschnitts
befasst sich vornehmlich mit der Geschichte des deutschen Films und den
wichtigsten Aspekten der gesamteuropäischen Produktionen, vor allem
aus dem Blickwinkel der kulturhistorischen Betrachtung. Natürlich
kann in dieser Arbeit nicht zu jeder Entwicklung explizit Stellung genommen
werden, aber es geht hier auch nicht um eine genaue Analyse der kinematographischen
Kunstgeschichte, sondern lediglich um die Herausarbeitung nationaler Besonderheiten.
Eine korrekte Analyse der frühen Phase wäre eh kaum möglich,
da ein nicht zu unterschätzender Anteil an Filmen einfach vernichtet
wurde, sobald sie niemand mehr sehen wollte. Das, was aus jener Zeit überliefert
ist, steht demnach nur für einen Ausschnitt des damaligen Kintops,
dessen ganze Komplexität vermutlich immer in der Geschichte verborgen
bleiben wird.
An vielen Stellen wird jedoch
früh sichtbar, welche Einflüsse der Film, als das nunmehr vielleicht
bedeutendste Massenmedium, auf Bereiche der sozialen und kulturellen Entwicklungen
der letzten einhundert Jahre genommen hat, die jedoch zu Beginn dieser
Arbeit weitgehend unkommentiert bleiben, und erst an späterer Stelle
erneut aufgegriffen werden. Vor allem dem entstandenen Konflikt zwischen
Kunstkritikern und Publikum, der bis heute andauert, wird gegen Ende ein
eigener Abschnitt gewidmet.
Da sich die Geschichte der USA
grundlegend von der Europas unterscheidet, wird ihr in diesem Kapitel eine
eigene Betrachtung zuteil, zumal Hollywood seit Jahrzehnten den weltweiten
und besonders den europäischen Kinomarkt mit Abstand dominiert. Die
Gründe hierfür sind ebenfalls deutlich aus der Filmgeschichte
ersichtlich, wodurch bereits eine Menge Fragen gleich zu Beginn beantwortet
werden, was die folgende Betrachtung und Beschreibung des Phänomens
„Kultfilme“ ungemein erleichtert. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem
Umstand, warum gerade amerikanische Filme, die aus einer Gesellschaft kommen,
deren Kultur sich von der unserigen so grundlegend zu unterscheiden scheint
und zudem von vielen europäischen Sozialkritikern abgelehnt wird (aus
welchen Gründen auch immer), im so vermeintlich traditionellen Europa
für klingelnde Kassen sorgen und sogar wahre Kultbewegungen und Subkulturen
hervorbringen.
1.1.
Der deutsche und europäische Film
Die Geburtsstunde des Films fand
am 28. Dezember 1895 mit der ersten Filmvorführung vor Publikum statt.
Damals präsentieren die französischen Gebrüder Lumière
im „Grand Café“ in Paris ihre neuste Erfindung: den Kinematographen.
Zwar gab es schon einige Jahre zuvor kurze Filmstreifen, die jedoch nicht
auf die Art und Weise hergestellt wurden, wie sie die klassische Filmkamera
definiert.
„Indessen: erst mit der
öffentlichen Vorführung des lumièrischen Kine-matographen
im Dezember 1895 beginnt die Geschichte des Films als eines souveränen
publizistischen Mediums, als >Sprache< und >Schauspiel<.“ (Gregor/Patalas
1973: 13)
In den folgenden Jahren entwickelte
sich aus den ersten kurzen Streifen in ganz Europa eine vielbeschäftigte
Filmindustrie. In Frankreich machten die Lumièrs den Anfang neben
der Herstellung von Projektoren auch mit der Produktion von wirklichkeitsgetreuen
Darstellungen der objektiven Umwelt, die man im heutigen Sinne eher als
Dokumentarfilme bezeichnen würde. Aus künstlerischer Sicht belebten
sie damals eine für jene Zeit ungewohnte Stilrichtung: den Naturalismus.
Es waren unkommentierte Szenen aus dem Alltag, die dem staunenden Publikum
eine neue Art der Wahrnehmung*1 zeigten.
Im Laufe der Jahre wurden aus den Momentaufnahmen die Vorläufer der
berühmten Wochenschau, die auf der ganzen Welt (auch in den USA) vermarktet
und von wandernden Schaustellern in Kneipen und Gaststätten vorgeführt
wurden. Lumières Kameraleute reisten durchs Ausland und brachten
Filme von Monarchen und Ministern zurück. Waren die Menschen zunächst
noch von der neuen Art des Erlebens beeindruckt, verloren sie jedoch bald
das Interesse an den monotonen Darstellungen von Personen, so dass sich
die Lumières 1898 aus der Filmproduktion zurückzogen und ausschließlich
Kameras und Projektoren herstellten.
Der erste Filmemacher, der die
kreativen Möglichkeiten des Films entdeckte, war der Zeichner und
Theaterbesitzer Georges Méliès. Mit Zeitraffer, Doppelbelichtung
und anderen tricktechnischen Methoden filmte er skurrile und phantastische
Märchendarstellungen. Bis heute bekannt ist zum Beispiel die von Jules
Verne inspirierte, fünfzehn Minuten lange „Reise zum Mond“ von 1902.
Ausschnitte findet man heute sogar in Musikvideos von Queen. Doch auch
Méliès Filme mit ihrer starren Kameraposition verloren bald
an Reiz, was ihn schließlich in den Ruin trieb.
Mit der Gründung anderer
Firmen, wie zum Beispiel Pathé 1903 und Gaumont 1910, behielten
die Franzosen dennoch ihre Vormachtstellung. Deren Marktanteil lag selbst
in Deutschland bei knapp über 20 Prozent.
In unseren Gefilden galt der
Fotooptiker Oskar Messter, der 1896 als erstes einen Projektor mit dem
sogenannten „Malteserkreuz“ entwickelte – jener Mechanismus, der den Film
ruckweise vor die Beleuchtung herzieht, und der bis heute praktisch unverändert
blieb. (vgl. Jacobsen/Kaes/Prinzler 1993: 22) Messter gehörte gleichzeitig
zu den ersten Filmemachern unseres Landes und geriet auf diese Art und
Weise schnell an die berühmt berüchtigte deutsche Bürokratie.
Als er für Aufnahmen von Kaiser Wilhelm II. eine Genehmigung beantragte,
wurde seine „Höllenmaschine“ nicht als Fotoapparat anerkannt und sein
Antrag folglich abgelehnt. Erst zwei Monate später, im Mai 1897, konnte
Messter bei einem Stapellauf eine Aufnahme des Kaisers ergattern, der daraufhin
ein großer Befürworter dieser Technik wurde und sie fortan als
Medium für die Präsentation seiner Person nutzte. Bereits zu
dieser Zeit drehte Messter kleine Spielfilme, die eine Rahmenhandlung besaßen,
und führte sie in seinem Kunstlichttheater in der Berliner Friedrichstraße
vor – das erste fest eingerichtete Kino Deutschlands. Am 31. Oktober 1900
gründete er die Firma Projection GmbH, die sich später in zwei
Unternehmen für die Film- und Projektorproduktion teilte. Erstere
ging später in der Ufa auf. Zu den stärksten Konkurrenten zählten
damals Alfred Duskens und Jules Greenbaum, der die bereits erwähnten
Aufträge von Kaiser Wilhelm II. bekam.
Wie rasant der Siegeszug des Kinos
begann, lässt sich am deutlichsten mit den folgenden Zahlen belegen:
Gab es 1905 in Berlin noch 16 Kinos, stieg deren Anzahl in den kommenden
zwei Jahren auf stolze 139 an. 1913 waren es bereits 206 mit insgesamt
49695 Plätzen, die vor allem nach Feierabend von Arbeiterfamilien
besetzt wurden. In jenen Jahren bekam der Film somit seinen Status als
Massenmedium, gegen das Heerscharen von Intellektuellen und Pädagogen
sturmliefen, was (wie wir heute wissen) kaum etwas zu bewirken vermochte.
Vor allem Besitzer der Schauspieltheater waren erbost darüber, dass
sich das Kino in seiner Gestalt so offensichtlich an ihre Branche hielt
– neben dem Film gab es zudem noch tänzerische und musikalische Darbietungen.
Mit seinen nunmehr abendfüllenden Spielfilmen erwuchs es zu dem Unterhaltungsort
schlechthin, und bald erhoben sich die ersten Stars. Die Schauspielerinnen
Asta Nielsen und Henny Porten profitierten zum Beispiel von der Reproduktivität
des Filmmaterials, allerdings nur aus der Sicht des Ruhmes, da man bei
Herstellungskosten von um die 1000 Mark pro Film nicht allzu reich werden
konnte.
In anderen Ländern setzte
die Filmproduktion erst wenige Jahre später ein. Die Briten konnten
sich 1902 selbst im eigenen Land nicht gegen französische Streifen
durchsetzen, wobei es zu bedenken gilt, dass es in Zeiten des Stummfilms
auf diesem Gebiet keine sprachlichen Barrieren gab. Lediglich Italien konnte
sich mit seinen relativ aufwendigen Produktionen von historischen Ereignissen
im internationalen Geschäft behaupten. „Die letzten Tage von Pompeji“
wurde 1908 zu einem der größten Erfolge der bis dato jungen
Kinogeschichte.
Der erste Weltkrieg versetzte
die europäische Produktion jedoch einen wahren Winterschlaf, der es
den Amerikanern ermöglichte, ihre Filmindustrie konkurrenzlos auszubauen.
Ausschließlich Dänemark konnte sich als europäisches Land
diese Situation ebenfalls zu Nutze machen. Zwar kam auch der russische
Film zum Zuge, allerdings nur im eigenen Land. Hinzu kam, dass er zunächst
von der zaristischen, dann nach der Oktoberrevolution auch von der sowjetischen
Regierung stets unter staatlicher Kontrolle stand. Für das an einem
Mangel an Inspiration leidende Ergebnis konnten sich weder die europäischen
noch die russischen Zuschauer begeistern. Letztere verehrten daher zumeist
die Schauspieler (darunter auch Asta Nielsen) - dies allerdings in einer
derart glorifizierenden Art und Weise, die den Europäern bis dahin
fremd war.
In dieser Krise schlossen
sich unter Erich Ludendorff die wichtigsten deutschen Unternehmen zur berühmten
Ufa (Universum Film AG) zusammen, die am 18. Dezember 1917 mit einem Grundkapital
von 25 Millionen Mark ins Berliner Handelsregister eingetragen wurde und
dem Film somit auch einen ökonomischen Stellenwert verlieh. Gegen
Ende des Krieges gingen die größten Besitzanteile an die Deutsche
Bank. (vgl. Jacobsen/Kaes/Prinzler 1993: 37 und Gregor/Patalas 1973: 55)
Mit der einsetzenden Inflation
konnten Deutschland, Italien und Frankreich Filme zu konkurrenzlosen Preisen
herstellen. Vor allem Deutschland wurde in den ersten beiden Nachkriegsjahren
lediglich von Hollywood übertroffen. Während dieses Kinobooms
beschäftigte die Ufa 1919 bereits 2500 Menschen und besaß elf
große Lichtspielhäuser mit je 1500 Plätzen. (vgl. Jacobsen/Kaes/Prinzler
1993: 39)
In dieser Zeit konnte sich der
Film zudem als Kunstform etablieren. Die günstigen Produktionskosten
erlaubten fast jedes künstlerische Experiment, zumal man auf einen
Treffer hoffte, der die Leute trotz der äußerst schwachen Kaufkraft
ins Kino brachte. Begriffe wie „Expressionismus“, „Impressionismus“ und
„Avantgarde“ machten die Runde, die ihre Motive in Kompositionen aus Licht
und Schatten stellten und die Bewegung als Rhythmus betrachteten. In Paris
entstanden die ersten spezialisierten Filmtheater, in denen sich die intellektuelle
Elite zum Anschauen und anschließendem Diskutieren traf. Und 1918
befreite der Franzose Abel Gance die Kamera endlich von ihrer starren Position.
Doch mit zum Teil zwölf Stunden Länge (16km Zelluloid) waren
seine Werke kaum für die breite Masse geeignet und wurden daher drastisch
zusammengeschnitten.
In den Stummfilmjahren nach dem
Ersten Weltkrieg wurde aber auch die Trennung zwischen Kunst und Kommerz
offenbart. Gerade die französischen Surrealisten trafen mit ihren
paradoxen Wirklichkeitscharakteren und abstrakten Motiven selten
den allgemeinen Geschmack*2. Nach der Vorstellung
von „L’Age d’or“ (Das Goldene Zeitalter) 1930 zerstörten faschistische
Jugendliche die Einrichtung des Theaters und spritzten Tinte auf die Leinwand.
Die gezeigten Visionen von freier Liebe und die Kritik an der Kirche führten
schließlich zu Vorführverboten. (vgl. Gregor/Patalas 1973: 88-89)
Die Stabilisierung der Wirtschaft
setzte solchen Experimente generell ein jähres Ende, und man begann,
das Kino dem Geschmack des normalen Zuschauers anzupassen, gerade im Hinblick
auf die wachsende Konkurrenz aus dem Ausland. Die Theatereinlagen wurden
aus dem Programm genommen und machten der Wochenschau Platz. Äußerster
Beleibtheit erfreuten sich Detektivserien, in denen es weniger um Kriminalistik
als vielmehr um Luxus, Tempo und einen modernen Lebensstil ging. Besonders
Abenteuerfilme sah man als Fenster zur Welt. Zum Kennenlernen von fremden
Kulturen
stellte die Ufa spezielle Lehrfilme her. Bei der Produktion von
Abenteuern setzte Italien zwar die Maßstäbe, doch Hollywood
begann mit aufwendigen Filmen (z.B. 1926 „Ben Hur“) den deutschen Markt
zu beherrschen, so dass die Ufa bei Paramount einen Kredit aufnehmen musste
und schließlich in den Besitz des Hugenberg-Konzerns geriet.
Als Politikum hatte der Film während
der Weimarer Republik kaum eine Bedeutung. Erst später interpretierte
man in einige Filme faschistische Tendenzen hinein. Vor allem die Filme
Fritz Langs leiden heute unter diesem Ruf, obwohl er damals als Innovator
der Filmkunst galt. Seine eindrucksvollen Kulissen und Visionen in „Metropolis“
(1926) entstammen seinen Beobachtungen als Architekt während seiner
Reise nach New York. Und auch die Geschichte greift eine legitime Frage
jener Zeit auf:
„...: nach den Folgen
blinden technischen Fortschritts und instrumenteller Rationalität.“
(Jacobsen/Kaes/Prinzler 1993: 64)
Während der nationalsozialistischen
Regierung ging Fritz Lang in die Emigration und konnte nicht verhindern,
dass das Regime seine Filme für sich in Beschlag nahm. Gerade die
Mystik in „Die Nibelungen“ und die Gigantomanie aus „Metropolis“ konnten
leider als perfekte Abbildungen der nazistischen Weltanschauung herhalten.
In den 30er Jahren verdrängte
der Ton- den Stummfilm innerhalb kürzester Zeit. Viele Stummfilme
wurden damals einfach vernichtet, da man sie als altmodisch empfand. Vor
allem von den zahlreichen Trivialfilmen fürs Massenpublikum zeugen
nur noch schriftliche Dokumente, wie zum Beispiel Filmkritiken oder Zensurkarten.
(vgl. Jacobsen/Kaes/Prinzler 1993: 46) Doch erst als in Hollywood ausschließlich
mit Ton gedreht wurde, zogen auch die deutschen Regisseure 1931 nach. Zusammen
mit der Weltwirtschaftskrise ging es auch mit der Filmindustrie bergab,
obwohl durch die Linguistik im Film nationale Produkte gefördert wurden,
da Synchronisation kaum betrieben wurde. Viele Menschen konnten sich
jedoch einen Kinobesuch schlichtweg nicht mehr leisten. Trotzdem wurde
auch in dieser Zeit die künstlerische Methodik des Film weiterentwickelt.
„Dialog und Musik, vor
allem aber Geräusche wurden nicht nur als Kulisse zum Bild verwandt,
sondern kategorisch eingesetzt: die Kombination von Bild und Ton gestattete
es, ein durch das andere zu interpretieren.“ (Gregor/Patalas 1973: 144)
Doch lediglich dem amerikanischen
Regisseur Joseph von Sternberg gelang es 1930 mit „Der Blaue Engel“, die
neuen Stilmittel der Dialoge künstlerisch und sozialkritisch auszuschöpfen.
Ansonsten wurde die Leinwand mit belanglosen Operetten und Komödien
geradezu überschwemmt. In dieser schweren Zeit kamen die Leute nur
ins Kino, um sich von den Alltagssorgen ablenken zu lassen.
Bereits 1930 gründete die
NSDAP eine eigene Filmabteilung. Nachdem Hitler endgültig die Macht
im Staate übernommen hatte, erlaubte es die Krise der Filmwirtschaft,
diese nach eigenen Vorstellungen zu sanieren. Nichtarische Filmemacher
wurden mit Arbeitsverboten belegt, und 1934 kam die Zensurbehörde
unter parteiliche Verwaltung. Dabei verfolgten die Nazis zunächst
eine indirekte Art der Bevölkerungsbeeinflussung: Regimekritische
Arbeiten wurden konsequent verboten. So blieben lediglich die harmlosen
Lustspiele übrig, die unfreiwillig die Devise „Kraft durch Freude“
erfüllten.
„Die Lektion des NS-Realismus
hieß Natürlichkeit. In der praktizierten Ästhetik galt
„das Leben“ schlechthin als höhere Kunst.“ (Jacobsen/Kaes/Prinzler
1993: 126)
Wenn es nur noch eine Stilrichtung
gibt, wird diese zwangsläufig zum einzigen aussagekräftigen Instrument
der Filmindustrie – egal wie ausdruckslos diese auch sein mochte. Aus diesem
Grund stellten naive Komödien wie „Der Mustergatte“ 1933 oder „Die
Feuerzangenbowle“ 1943 (beide mit Heinz Rühmann), die wie heutige
Filme jener Gattung nichts weiter als unterhalten wollten, das Leben so
dar, wie die Faschisten es propagierten.
In diese Rolle ist wohl auch
zum Teil die Dokumentarfilmerin Leni Riefenstahl einzuordnen, die mit ihren
Bergfilmen ein außerordentliches Auge fürs naive Schöne
bewies – ein Talent, dass sich auch Hitler als persönlicher Freund
zu Nutze machte. Besonders in den beiden Olympia-Filmen „Fest der Völker“
und „Fest der Schönheit“ erscheint die Person des Führers als
mystische Galionsfigur der deutschen Leitkultur*3.
Zwar kann man Riefenstahl eher weniger eine radikale Verfechterin des Nationalsozialismus'
nennen, ihr wohl aber gnadenlose Naivität gegenüber der hitlerschen
Weltanschauung nachsagen. Mit Kriegsbeginn lehnte sie alle weiteren Aufträge
ab und besann sich auf ihre ursprünglichen Motive. (vgl. Gregor/Patalas
1973: 154-155)
Ab 1939 drängten sich dann
Kriegsrevuen und Heldenfilme in den Vordergrund, die nun absichtlich von
der NS-Regierung in Auftrag gegeben wurden und nichts weiter bewirken sollten,
als den Kampf fürs Vaterland als einzig wahren Lebenssinn der hiesigen
Einwohner zu erklären.
Nach dem Zweiten Weltkrieg drifteten
die nationalen Strömungen weiter auseinander. Jedes Land begann einen
für sich typischen Stil zu entwickeln, der sich bis heute vor allem
in Komödien zeigt*4. Spaniens Filmkünstler
waren größtenteils während des Bürgerkrieges 1936-39
nach Mexiko ausgewandert, doch nach 1945 kamen junge Talente zum Zuge,
die zwar unter Francos Diktatur generell zum Schweigen verurteilt waren
- obwohl es auch systemkritische Filme gab - dafür aber Filmakademien
und anspruchsvolle Zeitschriften gründen durften. (vgl. Gregor/Patalas
1973: 375)
In Deutschland setzte mit der
Nachkriegszeit der rasante Abstieg der Filmindustrie ein. Die alte Ufa
wurde durch die Alliierten zerschlagen, worauf sich die finanzschwachen
Folgeunternehmen nicht gegen Hollywoods enormen Aufwand zu behaupten vermochten.
Selbst künstlerische Experimente kamen auf diesem Markt gänzlich
zum erliegen. Hinzu kam, dass der deutsche Film scheinbar an einer Art
Krankheit zu leiden begann: Die Aufarbeitung des Krieges, die in recht
fragwürdigen Streifen versucht wurde. Es handelte sich dabei eher
um Alibis fürs Volk, in denen von Einzelpersonen erzählt wurde,
häufig Hochrangige Militärs, die alleine gegen das Nazi-Regime
opponierten, aber letztlich doch scheiterten. Andere Filme verurteilten
zwar der Krieg an sich, nicht aber den nazistischen Angriff. Wenn Kritik,
dann betraf sie nur die Obrigkeit, indem moralische Fehltritte der Industriebosse
thematisiert wurden, wie zum Beispiel in „Das Mädchen Rosemarie“ (1958).
Dort, wo sich viele Cineasten
die französische Kunst der Atmosphäre, amerikanische Perfektion
und italienische Wirklichkeitsnähe wünschten, verfolgte der deutsche
Film durch den blinden Optimismus’ während des Wirtschaftswunders
ein ganz anderes Ziel.
„Ein Kino der tabula
rasa, seine Perfektion ist Garantie fürs Absolute und seine Spurenlosigkeit.
Bloß keine Spuren hinterlassen, das ist das Trauma dieser Gesellschaft,
nichts verraten davon, wie etwas geworden ist, die neue Gesellschaft und
die neuen Filme.“ (Jacobsen/Kaes/Prinzler 1993: 175)
Dieses „Wegschauen“ gipfelte schließlich
in den Heimatfilmen der 50er, in denen die Oberflächlichkeit des deutschen
Nachkriegsfilm quasi personifiziert wurde. Die lieblos gemachten Streifen
handelten zwar nicht immer von der heilen Welt, aber zum Realismus fehlte
letztlich jede Verbindung, was selbst der durchschnittliche Unterhaltungskonsument
nicht mehr nachvollziehen konnte.
Der Durchbruch des Fernsehens
in den 60ern besiegelte dann auch den totalen Untergang des westdeutschen
Kinos. Innerhalb weniger Jahre fielen die Besucherzahlen von über
800 auf unter 180 Millionen. Der regelmäßige Kinobesuch wurde
zur Ausnahme, der auch die einstigen Publikumsmagnete wie Heinz Rühmann
nichts entgegenzusetzen hatten. Lediglich die Karl-May- und Edgar-Wallace-Filme
konnten noch ein ansehnliches Publikum ins Kino locken. Bereits zu Beginn
dieser Entwicklung gab es verzweifelte Rettungsversuche. So glaubte man,
durch künstlerisch anspruchsvolle Literaturverfilmungen (z.B. „Die
Schachnovelle“ 1960) und hoher Qualität die Anziehungskraft des Films
steigern zu können. (vgl. Jacobsen/Kaes/Prinzler 1993: 222) In Frankreich
war es nämlich einigen jungen Regisseuren durch die Bewegung „Neue
Welle“ gelungen (vgl. Gregor/Patalas 1973: 448), mit ausdrucksvollen Visionen
selbst den amerikanischen Filmen Konkurrenz zu machen, wenn auch eine geringe.
Doch in Deutschland schlug dieser Versuch deutlich fehl, und solche Filme
(z.B. von Alexander Kluge und Volker Schlöndorff) fielen bei der breiten
Masse vollkommen durch. Aufgrund des Fehlens von staatlich geförderten
Filmakademien (wie es in anderen Ländern üblich war) gab es auch
niemanden, der das Publikum zu begeistern wusste. Statt den deutschen Film
zu fördern, kamen nun sogar exotische Produktionen aus Indien oder
Japan auf den Markt, die sich zwar ebenfalls nicht kommerziell behaupten
konnten, aber auf europäischen Filmfestivals die deutschen Künstler
fast völlig verdrängten. Inzwischen besitzt Indien die größte
Filmindustrie der Welt - die in „Bollywood“ bei Bombay ihren Hauptsitz
hat – obwohl sie fast ausschließlich fürs eigene Publikum produziert.*5
Während der ostdeutsche Film
unter der Kontrolle des Staates litt, konnten sich auch die westdeutschen
Filmemacher in den 70ern nicht gegen Hollywood durchsetzen. Selbst die
Einrichtung einer Filmförderung half nicht. Die einzigen Besonderheiten
während dieser Zeit waren wohl die Aufklärungsfilme von Oswald
Kolle.
In den 80ern galt es dann schon
als Erfolg, wenn ein deutscher Film 150.000 Zuschauer erreichte. Die wenigen
Filmemacher, denen dies gelang, nutzten ihre Chance, um nach Hollywood
auszuwandern. Zu den bekanntesten gehören Wolfgang Peterson („Das
Boot“) und Bernd Eichinger („Der Name der Rose“), die als Europäer
in Amerika eine ganz eigene Stilrichtung*6
darstellen. Ansonsten konnten lediglich die Streifen von Komikern wie Otto
oder Dieter Hallervorden nennenswerte Treffer landen, riefen damit aber
zugleich jene Kritiker auf den Plan, die eine Trennung der Filmwelt in
„McDonalds-Streifen“ und dem „Suhrkamp-Kino“ betrauerten und gleichzeitig
mit einer Panikmache gegen die kulturelle Postmoderne begannen. (vgl. Jacobsen/Kaes/Prinzler
1993: 290-295)
Wie erfolglos dies bis heute
ist, machen folgende Zahlen deutlich (Quelle: Filmförderungsanstalt
/ www.ffa.de): Im Jahr 2000 betrug der Markanteil hiesiger Filme in Deutschland
lediglich 12,5 %. Insgesamt lag die Besucherzahl bei 152,5 Millionen und
scheint sich damit seit 1995 (124 Mio.) zumindest ein wenig zu erholen.
1.2.
Der amerikanische Film
In Nordamerika begann die Geschichte
des Films ähnlich wie in Europa. Am 16. April 1896 fand in New York
die erste Vorführung statt. (vgl. Gregor/Patalas 1973: 29) Seitdem
wanderten Schausteller mit Projektoren von Thomas A. Edison durch die Lande
und zeigten Streifen, die so lang waren, wie Film auf eine Rolle passte
– etwa sechs Minuten. Der Unterschied zu Europa bestand jedoch darin, dass
selbst ältere Unterhaltungsbranchen wie das Varietétheater
die neue Technik gewinnbringend zu nutzen wussten. Außerdem verhalf
das traditionelle Theater vermutlich ungewollt dem Kino auf die Sprünge,
als durch einen Schauspielerstreik 1900 die Theaterbesitzer gezwungen waren,
ihr Programm mit Filmvorführungen aufrecht zu halten. Ab 1902 wechselten
viele Einrichtungen dann komplett auf diese Schiene, und 1905 eröffnete
ein Unternehmer in Pittsburgh mit dem „Nickelodeon“*7
das erste Kino, das zwar ausschließlich für Filmvorstellungen
gebaut war, zudem aber alle Annehmlichkeiten des Theaters besaß.
Auch wirtschaftlich entwickelte
sich die amerikanische Filmindustrie schon früh in eine andere Richtung,
als durch die Einführung der Verleiher-Branche die Kontrolle über
die Vorführung ebenfalls in die Hände der Produktion fiel. Auf
diese Weise versuchte der Monopolist Edison seine Stellung im Filmgeschäft
gegen Hunderte von Konkurrenten zu behaupten. Zusätzlich besaß
er die technischen Patente und führte Standardformate ein. Sogar mafiaartige
Methoden wurden angewandt, um die anderen Unternehmen klein zu halten,
doch diese flohen daraufhin 1906 gen Westen in einen kleinen Vorort von
Los Angeles: Hollywood*8. Dort war nicht nur
das Wetter weitaus besser, sondern auch die Produktionskosten. Zusammen
mit zugkräftigen Darstellern konnten sie sich schließlich gegen
den großen Zusammenschluss von Produzenten – den „Trust“ - an der
Ostküste erfolgreich zur Wehr setzen. Das Anti-Trust-Gesetz von 1917
gab ihm schließlich den Rest. Zu den neuen Unternehmern in Hollywood
zählten bekannte Namen wie William Fox und Samuel Goldwyn. (vgl. Gregor/Patalas
1973: 30)
Auf der Ebene der Filmkunst fiel
zunächst der Mechaniker Edwin S. Porter auf, der für die Edison-Company
arbeitete. Angeregt von europäischen Filmen war er der erste Filmemacher,
der reale Begebenheiten mit nachgestellten Szenen kombinierte und so aktuelle
Geschehnisse filmgerecht erzählte. Dazu benutze er auch neue Stilmittel
wie Szenenwechsel – bisher wurde die Rolle in einem Stück durchgedreht.
Später inszenierte er Ereignisse dann vollständig, und mit „The
Great Train Robbery“ erschuf er das Genre des amerikanischen Films: den
Western.
Zu Porters Schülern gehörte
David Wark Griffith, der vor allem europäische Methoden verwandte
und weiterentwickelte und sein Interesse für Literatur in die Filme
einfließen ließ. Zwischen 1908 und 1914 drehte er über
400 Filme für das Studio Biograph, die vielfach von den Werken Shakespeares
oder Dickens’ handelten. Filmische Methoden und Stilmittel nutzte Griffith
in erster Linie nicht, um die Zuschauer zu überraschen, sonder nur,
wenn es narrativ notwendig war. Inspiriert vom Franzosen Méliès,
setzte er Groß- und Nahaufnahmen gezielt ein, statt bisher ausschließlich
in der Totalen zu drehen. Nicht nur bei den Themen hielt sich Griffith
an die großen Literaten, auch deren Erzählweise übernahm
er, was zunächst bei einigen Filmproduzenten für Verwirrung sorgte
– Filme über mehrere Rollen (Akte) waren etwas gänzlich Neues.
Hinzu kamen schnelle Schnitte, mit denen dem Zuschauer ein Gefühl
des Tempos suggeriert wurde. Auch die berühmte Abblende durch einen
sich verkleinernden, runden Bildausschnitt ist Griffith’ Talent zu verdanken.
„In sechs Jahren hatte
er den Film vollends von einem Mittel der mechanischen Reproduktion zu
einem differenzierten Medium der Erzählung entwickelt.“ (Gregor/Patalas
1973: 33)
Auf eine ganz andere Richtung spezialisierte
sich der Kanadier Mark Sennett. Als ehemaliger Varieté-Sänger
und –Tänzer erkannte er früh die Möglichkeiten des Films
als Entertainment. Die Stilelemente Griffith’ vermochte er ebenso platziert
einzusetzen, doch benutzte er diese, um den Zuschauern wahre Knalleffekte
an Absurditäten zu bieten. Die Slapstick Comedy war geboren, und 1912
wurde Sennett Direktor von Keystone, dem Studio, das so berühmte Namen
wie Chaplin, Lloyd oder die Polizistentruppe „Keystone Cops“ hervorbrachte.
Obwohl jene Figuren nach den tatsächlichen Schauspielern benannt waren,
blieben es mehr oder weniger künstliche Charaktere, von denen jeder
sein Markenzeichen hatte. Das Publikum liebte die paradoxen Figuren, und
spätestens die Tortenschlachten machten es deutlich: Schadenfreude
ist die schönste Freude! Dabei waren die Produktionen häufig
äußerst gefährlich. Brach zum Beispiel irgendwo ein Feuer
aus, fuhr man der Feuerwehr hinterher und improvisierte einfach einige
Szenen und Sketche an Ort und Stelle. Ebenso drastisch waren Verfolgungsjagden
mit Automobilen, die durch den regulären Stadtverkehr oder vor eine
fahrende Lokomotive führten. In diesem Umgang mit Technik konnte man
aber durchaus eine soziale Fragestellung erkennen: Der blinde Glauben an
die hochtechnischen Errungenschaften der Menschheit wird hier gnadenlos
karikiert. Ein europäischer Kritiker nannte dies Surrealismus ohne
Tränen. (vgl. Gregor/ Patalas 1973: 40)
Anfang der 20er-Jahre traf die
Weltwirtschaftskrise schließlich die USA, und folglich blieben auch
hier die Zuschauer aus. Gleichzeitig betrieben Hollywoods Studios einen
immer höheren Aufwand, um das Publikum in die firmeneigenen
Kinoketten zu locken. Die Produktionskosten für einen Film stiegen
in den ersten Jahren von durchschnittlich 60.000 auf 200.000 Dollar. Selbst
dann blieben Erfolge wie „Ben Hur“ (1926) eine Seltenheit. Jene pompösen
Streifen konnten die hohen Kosten längst nicht mehr einspielen. Trotzdem
herrschte Aufbruchstimmung und die Studiobosse warfen mit Geld förmlich
um sich. Viele Unternehmen fusionierten oder fielen in die Hände von
Banken, was die finanzielle Situation jedoch kaum verbesserte. Filmische
Experimente wurden durch sogenannte „Producer-Supervisors“ konsequent abgelehnt.
Diese von den Banken eingesetzten Produzenten hatten die Aufgabe, jeden
Film auf seine Publikumstauglichkeit zu prüfen, und avancierten so
zur eigentlichen Macht im Business. Die ursprünglichen Filmpioniere
waren entthront, infolgedessen der Film anonymer und zugleich klischeehafter
wurde. (vgl. Gregor/Patalas 1973: 121)
Lediglich einige Stars oder Regisseure
von Kassenknüllern durften sich noch Freiheiten erlauben. Vor allem
Charlie Chaplin konnte bei First National eigene Produktionen durchführen,
die weitaus sozialkritischer waren, als es zunächst den Anschein hatte
- die erste Satire im Film. Auch der Charakter der Chaplin Figur wurde
nach Belieben der Situation angepasst. (vgl. Gregor/Patalas 1973:135-138)
Andere Filmemacher konnten sich nur selten künstlerische Ausflüge
leisten, wobei ein Flop sie zurück in die Abhängigkeit trieb.
In dieser Zeit versuchten auch einige europäische Regisseure in Hollywood
Fuß zu fassen - jedoch mit wenig Erfolg. Lediglich Ernst Lubitsch
gelang als einer der wenigen der Durchbruch. Er traf mit seiner hedonistischen
Devise exakt den Nerv der Zeit. Während der Depression wollten die
Zuschauer vom Erfolg träumen und folglich auch solche Filme sehen.
Luxus im Film wurde zur Selbstverständlichkeit, der selbst im Alltag
nun erste Trends setzen konnte. Die Röcke wurden kürzer, die
Miedermanufakturen machten bankrott und die Frauen griffen selbstbewusst
zur Zigarette. Es war die Epoche der „wilden Zwanziger“. Gleichzeitig aber
waren durch den Krieg in Europa und der Wirtschaftskrise die Vorstellungen
vom erfolgreichen Amerika in Mitleidenschaft gezogen worden und puritanische
Moralvorstellungen begannen zu dominieren, was schließlich in der
Prohibition gipfelte. Im Zuge dieser sozialen Umwälzung wurde auch
beim Film der Ruf nach staatlicher Kontrolle laut, die etwaige Freizügigkeiten
unterbinden sollte. Verschiedene Skandale und die Ängste vor weiter
sinkenden Besucherzahlen führten dazu, dass die Filmindustrie dem
zuvor kam, indem sie 1920 eine Zensurbehörde unter der Leitung des
Politikers Will Hays einrichtete, die folgenden Grundsatz vertrat:
„Es darf kein Film hergestellt
werden, der dazu angetan sein könnte, den moralischen Standart zu
untergraben.“ (Satzungsauszug in Prokop 1988: 118)
Da dieser Begriff recht weit ausgelegt
werden kann, ging man in Hollywood auf Nummer sicher. Selbst rechtlich
versuchte man sich aus Angst vor Schadensersatzklagen nach allen Seiten
abzusichern, und im Abspann erscheint seitdem der Zusatz: Sämtliche
Personen sind frei erfunden...Ähnlichkeiten wären Zufall...usw.
Dies war ein Grund, warum Filme
der späten 20er sehr an Inspiration zu wünschen übrig ließen.
Hinzu kam noch die ökonomische Krise im Filmgeschäft, in der
fast verzweifelt jeder erfolgreiche Film kopiert wurde – es entstanden
Genres. (vgl. Gregor/Patalas 1973: 122) Stilistische Weiterentwicklungen
kamen nur Zustande, wenn mehr oder weniger zufällig der richtige Regisseur
zur richtigen Zeit mit seinem Talent aufs aktuelle Genre traf.
Einen etwas anderen Weg ging das
neu fusionierte Studio Metro-Goldwyn-Mayer (MGM). Es entdeckte 1925 eine
junge Schauspielerin mit Namen Greta Garbo. Mit ihr ersannen die Produzenten
eine neue Art des Marketings: den großen Hollywood-Star. Gezielt
setzten Regisseure und Kameraleute die Schauspielerin so in Szene, dass
die Gestalt einer unnahbaren Göttin entstand. Auch ihr Aussehen wurde
entsprechend modifiziert. Zum ersten mal wurde ein Image kreiert, das aus
der Schauspielerin ein Markenzeichen machte: Die Garbo. (vgl. Prokop 1988:
84)
Der Erfolg ermöglichte es
Greta Garbo, eine eigene Produktionsfirma (Canyon Productions) innerhalb
MGMs
zu führen. Auch andere erfolgreiche Stars schafften dies, was den
Produzenten zunehmend Unbehagen bereitete. Zusätzlich organisierten
sich Kameraleute und andere Techniker in Gewerkschaften, was die Macht
der Studiobosse weiter reduzierte. Ende der 20er kam MGM-Boss Louis B.
Mayer auf die Idee, eine Interessensvertretung aller Filmschaffenden zu
gründen, nicht zuletzt aufgrund der steigenden Konkurrenz zu den Radiosendungen:
The Academy of Motion Picture Arts. Da sie zudem die Leistungen der eigenen
Branche bewertete, eröffnete dies zugleich die Möglichkeit, die
Gewerkschaften ein wenig im Zaum zu halten. Und so wurde am 16. Mai 1929
in einer glanzvollen Gala das erste mal der Oscar verliehen, der damals
allerdings noch Awards of Merits hieß*9.
(vgl. Ramm 2001)
Bis 1950 wurde die Abstimmung
zwischen den Produktionen und den Bedürfnissen des Massenpublikums
intensiviert. Ab 1935 gab es Testvorführungen (Previews), bei denen
die Reaktionen des Publikums bereits vor Fertigstellung des Films beobachtet
werden konnten, worauf man ihn bei Bedarf so weit wie möglich nachbesserte.
Heute ist es zuweilen an der Tagesordnung, dass selbst ein Jahr nach Drehschluss
ein vollkommen neues Finale gedreht wird. Doch Hollywood setzte nicht alleine
auf Massenware, sondern verpackte diese in pompöse Filmkulissen und
luxuriöse Kinopaläste. In jenen Zeiten wurde Kreativität
zum Glücksfall. (vgl. Prokop 1988: 147) So konnte das Meisterwerk
“Citizen Kane” 1941 nur entstehen, weil sich Studioboss David O. Selznik
nach dem Erfolg von „Vom Winde verweht“ erschöpft für einige
Jahre nach Europa zurückgezogen hatte, und Orson Wells so von den
despotischen Bevormundungen Selzniks verschont geblieben war, unter denen
sogar der berühmte Regisseur Alfred Hitchcock anfangs zu leiden hatte.
Der Film „Citizen Kane“ erzählte in absolut innovativer Weise durch
Rückblenden die tragische Geschichte eines Medienmoguls und wurde
somit fast zu einem Spiegelbild des rüden Filmgeschäfts. Die
dort aufgegriffenen Verhältnisse, laut denen die Welt des Showbiz
mehr Schein als Sein sei, führten gegen 1950 schließlich zum
Beinahe Untergang der Filmindustrie, zum dem selbstverständlich das
Aufkommen des Fernsehens seinen Beitrag leistete. Nachdem am 15. März
1949 die erste Show des Entertainers Milton Berles ausgestrahlt wurde,
blieben regelmäßig nicht nur die Straßen, sondern auch
die Kinos menschenleer. Weitere Sendungen, wie die „Lucy Show“ 1951, die
von Beginn an durch Sponsoren finanziert wurden, machten dies zu einem
Dauerzustand. (vgl. Prokop 1988: 163) War der Durchschnittsbürger
bislang zwei bis dreimal pro Woche ins Kino gegangen, bekam er die Unterhaltung
nun bequem nach Hause geliefert. Selbst die Einführung des Breitbildformats
„Cinemascope“ 1953 konnte nicht verhindern, dass TV-Firmen wie ABC,
NBC oder CBS in Hollywood zu herrschen begannen. Die Kinoindustrie versuchte
daraufhin, ihre Filme durch einen enormen Produktionsaufwand von denen
des Fernsehens hervorzuheben – vor allem durch das Drehen in Farbe. Als
Folge davon explodierten die durchschnittliche Kosten pro Film auf zirka
zwei Millionen Dollar. Besonders die sogenannten Sandalenfilme, die sich
durch ihre siegreichen Helden gegen tyrannische Herrscher auszeichneten,
trafen den Geschmack des amerikanischen Publikums. (vgl. Seeßlen
1996: 14-16) Den Anfang machte 1952 „Quo Vadis“, der seine damals spektakulären
Kosten von acht Millionen Dollar durch den Einsatz von bis zu 30.000 Statisten,
450 Pferden und 63 Löwen noch einspielen konnte, was im Sinne des
Genre-Phänomens eine wahre Flut von teuren Bibel- und Sandalenstreifen
nach sich zog. Doch auf Hits, wie zum Beispiel „The Robe“ („Das Gewand“
– der erste Film in Cinemascope) und die Neuverfilmung von „Ben Hur“ 1959
mit Charlton Heston, folgten ruinöse Flops. So wurden bei der damals
mit 40 Millionen Dollar teuersten Neuverfilmung „Cleopatra“ über zehn
Millionen Dollar Verlust gemacht. Auch die mächtigen Gewerkschaften
setzten den Geschäften deutlich zu. Gegen Ende der 60er-Jahre sah
es mit Hollywoods Filmindustrie ebenso übel aus wie mit dem berühmten
Schriftzug, bei dem inzwischen die letzten vier Buchstaben schlichtweg
zusammengebrochen waren. Lediglich auf dem Weltmarkt konnten sich die Firmen
noch durch ihr ausgedehntes Verleihernetz mühelos behaupten, obwohl
das Ausland zum Schutz des eigenen Films zum Teil bis zu 75% Steuern verlangte.
Als Folge davon wurden viele Studios von anderen Medien- oder Musikunternehmen
aufgekauft. Doch selbst nach den Fusionen schreiben sämtliche Unternehmen
bis heute Verluste*10.
Am schlimmsten aber traf es 1969 MGM. Nachdem es von dem armenischen
Millionär Kirk Kerkorian aufgekauft wurde, schlachte dieser es vollkommen
aus. (vgl. Prokop 1988: 214-215)
Etwa zur selben Zeit wurde das
junge Publikum als stärkste Konsumgruppe entdeckt, für das Regisseure
von nun an drehten, wollten sie erfolgreich sein – 1960 zum Beispiel Alfred
Hitchcocks „Psycho“. Besonders Stars wie Marilyn Monroe, Elvis Presley
und James Dean richteten sich dabei direkt an die Rock’n’Roll-Generation.
Zusätzlich zogen auch die Ängste vor dem Vietnamkrieg die Jugend
zurück in die Kinos, wo der Italowestern – von amerikanischen Produzenten
mit italienischen Regisseuren im günstigen Italien gedreht – mit seinen
Gangstern als Protagonisten einen Abgesang auf den amerikanischen (Western-)
Helden erhob. (vgl. Prokop 1988: 222)
In der Krise der Großen,
bekamen die Kleinen*11 ihre Chance und stürmten
mit Billigfilmen - davon viele Horrorstreifen, die den „Trash“-Begriff
einführten – recht erfolgreich die Kinos. Aber auch künstlerische
Experimente wurden hier gemacht, und unter der Firma AIP und dem Produzenten
Robert Corman kamen neue Namen ins Gespräch: Francis Ford Coppola,
Martin Scorsese oder der damals junge Drehbuchautor Jack Nicholson. (vgl.
Prokop 1988: 215)
Als ebenso junge Talente gegen
1970 die technischen Möglichkeiten des Films weiterentwickelten, ging
es mit dem Kino langsam wieder aufwärts. Stanley Kubrick erschuf mit
„2001 – A Space Odyssey“ (1968) eine neue Zukunft, Steven Spielberg fegte
mit „Jaws“ („Der weiße Hai“ 1975) ganze Badestrände leer und
Coppolas „The Godfather“ („Der Pate“ 1972) verlieh dem Genre des Gangsterfilms
einen neuen Höhepunkt. Durch „Shaft“ entdeckte nun auch das schwarze
Publikum das Kino für sich, und nachdem George Lukas mit „Star Wars“
einen gewaltigen Überraschungshit landete, gab es wieder zirka 20
Millionen Besucher pro Woche. So begeistert die Massen von den Klischees
und Trends waren, so sahen die Kritiker in der neuen Generation von Filmemachern
fast schon die kulturelle Apokalypse. (vgl. Prokop 1988: 233) Doch was
damals als ideenlos bezeichnet wurde (Star Wars war schließlich nur
ein weiterer überzogener Science-Fiction-Film), zählt heute als
Meisterwerk und brachte letztendlich die erfolgreichsten Kultfilme hervor.
In der ganzen Geschichte Hollywoods
mischte sich der Staat kaum in die Filmindustrie ein. Finanzielle Förderungen
oder gar Rettungen gab es nie, und Zensur erfolgte fast nur unter moralischem
Druck der Bevölkerung, den man heute als „Political Correctness“ bezeichnet
– ein Begriff, der, wenn er fällt, bei Studiochefs allerdings blankes
Entsetzen erzeugt. Lediglich 1946 erzwang das Anti-Monopol-Gesetz eine
Trennung der Filmstudios von ihren Kinoketten. Doch um 1942 sorgte ein
Senator mit Namen Andrew McCarthy für Aufruhr, als er im ganzen Land
nach Kommunisten suchte und zahlreiche Personen über Jahre hinweg
mehr oder weniger grundlos inhaftieren ließ. Nachdem der Schauspieler
Adolphe Menjou behauptet hatte, Hollywood sei von Kommunisten unterwandert,
begann eine wahre Hetzjagd, in deren Verlauf sich viele Regisseure und
Schauspieler gegenseitig denunzierten. Lediglich der Star Humphrey Bogart
setzte sich mit einer kleinen Gruppe Kollegen öffentlich zur Wehr.
Doch es war das Fernsehen, dass diesem Treiben schließlich ein Ende
setzten konnte. Nachdem der Journalist Edward R. Murrow 1954 in seiner
TV-Show „See it now“ McCarthy angriff, versuchte dieser, sich und seine
Motive eine Woche später ebenfalls in jener Show zu verteidigen. Zum
Schluss schrie er seine Ansichten wie ein von Wahnvorstellungen verfolgter
Irrer laut hinaus, wodurch er seiner Karriere selbst ein abruptes Finale
bescherte. (vgl. Prokop 1988: 182) |