Inhaltsverzeichnis1.Die Geschichte des Films
 

PROLOG

                            “Der Zigarettenanzünder ist im Arsch!”
                                                             Jake Blues (aus „Blues Brothers“, USA 1979)

Eigentlich ist diese Feststellung nicht weiter spektakulär (wenn auch ein wenig vulgär). Doch es gibt Menschen, die bei diesem Satz geradezu ausflippen und sich vor Lachen kaum noch auf den Beinen halten können. Das kann nur eines bedeuten: Es handelt sich um einen Insidergag. Doch in diesem Falle ist es weit mehr. Denn selbst wenn man die Geschichte, die sich dahinter verbirgt, kennt – hier handelt es sich um ein Filmzitat – dürfte sich die Mehrheit der Leute noch immer verwirrt gegenseitig anschauen, verzweifelnd auf der Suche nach dem Witz in dieser Bemerkung. Jake Blues hatte nämlich einige Augenblicke zuvor besagten Zigarettenanzünder, der tatsächlich seinen Dienst verweigerte,  aus dem Auto seines Bruders Elwood geworfen – eine eher schlichte und nachvollziehbare Handlung, die auf eine merkwürdige Art und Weise dennoch urkomisch zu sein scheint.**

In solch einer Situation muss also mehr dahinter stecken, als durch die klassische Filmanalyse nachzuvollziehen wäre. Und etwa an dieser Stelle wird dem frustrierten Kritiker langsam aber sicher bewusst, dass es sich um eines der unerklärlichsten Phänomene der Filmgeschichte handelt: Einen Kultfilm!
Seit Jahrzehnten kursiert dieser Begriff nun schon in der Kinowelt, doch bis heute scheint niemand genau zu wissen, was sich dahinter verbirgt. Da ist es nicht unbedingt hilfreich, dass in der gegenwärtigen Vermarktung der Filmindustrie fast jedes Produkt geradezu inflationär als Kult angepriesen wird. Allerdings wird hier in Deutschland der vermeintlich „neue Kultfilm aus Hollywood“ (wie in der Werbung zu hören ist) häufig alles andere als zu einem solchen und verschwindet in der Versenkung, während ein vollkommen unterbewerteter B-Streifen*1 unversehens zum Publikumsliebling aufsteigt. Dies kommt zwar recht selten vor, treibt aber seriöse Filmkritiker regelmäßig in die Verzweifelung. Auch Hellmuth Karasek, Starkritiker beim SPIEGEL, weiß von diesem Phänomen zu berichten:

„...ein Film, bei dem man auf die Frage: >Verstehst du, warum da alle
hingehen?< mit >Versteh’ ich auch nicht< antwortet.“ (Karasek [aus Hahn/Jansen 1998: 9])
Noch frustrierender sieht die Lage bei den Filmproduzenten aus, die sich nichts sehnlicher wünschen, als mit einer geringen Investition eine große Menge Geld zu scheffeln. Vor allem mit jenen ominösen Kultfilmen - jeder von ihnen in Art und Weise unterschiedlicher als der andere -, die sich zuweilen über Jahre hinaus zu einem Goldesel mausern, ohne dass man jemals teure PR-Aktionen in Auftrag gegeben hätte. Statt dessen stecken alle großen Hollywood-Studios zur Zeit (angeblich) tief in den roten Zahlen. Ein Filmproduzent aus dieser Branche drückte es vor einigen Jahren folgendermaßen aus:
„Was uns im Augenblick so lähmt, ist die Tatsache, dass wir, egal was wir machen, weiter am Publikum vorbeiproduzieren als je zuvor. Wir wissen nicht, was es haben will. Wir wissen lediglich, dass es nicht das haben will, was wir ihm vorsetzten.“ (Goldman 1986: 9)
Im Moment, so scheint es zumindest, werden Filme von zwei Seiten aus betrachtet: Zum einen die intellektuelle Sichtweise, die Filme auf kulturell wertvolle Aspekte prüft, damit jedoch selten einen Kassenerfolg voraussagt (Beispiele werden im Laufe dieser Arbeit folgen). Die andere Betrachtungsweise ist die der kommerziellen Fraktion, die von den seriösen und hochgebildeten Analysten fast mitleidig belächelt wird – ganz nach dem Motto: Wir sagen, was Kultur ist! Zumeist ist ein Film auf einer dieser beiden Seiten einzuordnen. Doch wieder sind es diese seltsamen Kultfilme, die dieses System ein ums andere mal zu kippen drohen. Filme, denen von allen Seiten eine Minderwertigkeit bescheinigt wird, entwickeln sich plötzlich zu einem wahren Kult, der über Jahre andauert. Es scheint, als habe das Publikum hier eine Möglichkeit gefunden, zugleich gegen die kulturelle Elite und den Produkten der Massenkultur zu rebellieren. Bleibt also die Frage: Wie kommt dies Zustande?

Mit dieser Arbeit versuche ich nun ein wenig Licht in das Dunkel dieses Phänomens zu bringen – ein Vorhaben, das sich gleich zu Beginn als weit schwieriger erwies, als ich zunächst erwartet hatte. Bei der Suche nach geeigneter Literatur musste ich schnell feststellen, dass der Begriff „Kultfilm“ trotz seiner offensichtlichen soziokulturellen Eigenarten in der Filmsoziologie ein Tabu zu sein scheint. Selbst Dr. Rainer Winter, Soziologe am Institut der Universität Aachen, erwähnt dieses Thema in seiner Dissertation „Der produktive Zuschauer“ über das Verhalten von Fans lediglich auf drei Seiten. ( vgl. Winter 1995: 105-108). Auch bei der Suche im Internet und Recherchen bei Online-Bibliotheken wurde mir als Surfer eine gänzlich ungewohnte Erfahrung zuteil: „Es wurden keine Dokumente gefunden!“  In der wenigen Literatur, die diesen Begriff aufgreift, ist der Versuch einer Erklärung ebenso schwammig wie verwirrend. Ein Umstand, den er mit einem ganz anderen Bereich gemein zu haben scheint: Der Diskussion um die Eigenschaften der postmodernen Gesellschaft – mit einem Unterschied: Während es zum Kultfilm kaum Literatur gibt, wird man von postmodernen Meinungen geradezu überschwemmt, wobei jede ihre ganz eigenen Ansichten vertritt. Inzwischen scheinen es allerdings alle Beteiligten aufgegeben zu haben, den Begriff der Postmoderne in klare Definitionen zu fassen. Statt dessen werden eher einzelne Meinungen zu spezielleren Aspekten erleutert. (z.B. Rost/Sandbothe 1988: 9f.)
Was also lag näher, als diese beiden Themen einmal genauer zu betrachten und zu versuchen, den Kultfilm als Teil der Populärkultur in ein gemeinsames Verhältnis zu bringen. Allerdings sei an dieser Stelle gleich gesagt, dass der hauptsächliche Augenschein in dieser Arbeit auf das Phänomen des Kultfilms liegt, wobei sich die Fragestellung des Postmodernismus wie ein roter Faden durch die Arbeit zieht, stetig vor dem Hintergrund der Filmsoziologie. Da es aber wie bereits erwähnt keine eindeutige Literatur gibt (außer einigen Lexika, die lediglich Sammlungen von Filmen sind, die gemeinhin als Kult gelten), werde ich auf einem Umweg über die allgemeine Filmsoziologie und einiger psychologischer Ansätze an dieses Thema herangehen und nach Aspekten suchen, mit denen eine Erklärung eventuell möglich wäre.

Der erste Teil dieser Arbeit stellt daher die Basis dieser Untersuchung in Form einer kurzen Zusammenfassung der Filmgeschichte, den wesentlichen Grundzügen der Filmsoziologie und der Diskussion um den Begriff der „Postmoderne“ dar. Dabei geht es weniger um die Theoretiker, als vielmehr um die grundlegenden Aussagen der Theorien selbst. Anstatt mich also separat mit zwei oder drei Personen zu befassen, gehe ich eher allumfassend vor, beschränke mich allerdings auf eine kultursoziologische Sichtweise.
Im zweiten Teil wird darauffolgend das Phänomen der „Kultfilme“ zunächst in den häufigsten Erscheinungsformen beschrieben, um herauszufinden, was speziell einen einzelnen Film in diesen Status erhebt. Die große Vielfältigkeit der Filme, die unter diese Bezeichnung fallen (ob sie gerechtfertigt ist, bleibt abzuwarten) macht es nahezu unmöglich, ähnlich wie bei den postmodernen Theorien, sich auf einige wenige Titel zu beschränken. Kultfilme kommen aus wirklich jedem Genre, die sich wiederum untereinander unterscheiden. Da vor allem die Science-Fiction ein wahres Nest zu sein scheint, wird dieses Genre speziell durchleuchtet zusammen mit einer anderen spezifischen Kategorie, der ebenfalls eine große cineastische Bedeutung innewohnt. Auch Filmemacher und Schauspieler finden kurz Erwähnung. Ein besonderes Augenmerk liegt allerdings auf den Fans, durch die ein Film überhaupt erst den Status des Kultfilms bekommt.  Denn ohne Kultisten keinen Kult! Hier gehe ich den Fragen nach, warum sich Personen aus scheinbar allen Gesellschaftsschichten bei einem speziellen Film treffen und eigene Sozialwelten fernab von sonstigen gesellschaftlichen Richtlinien bilden. Vor allem wie sie ihren „Kult“ ausüben, ist ein wichtiger Aspekt, bei dem ich mich an die Untersuchungen von Rainer Winter halte. Zu diesem Punkt habe ich selbst eine kleine Umfrage durchgeführt, die zwar weit davon entfernt sein dürfte, mathematisch repräsentativ zu sein, aber dennoch, so denke ich, die Suche nach den Motiven der Fans erleichtern kann.
An dieser Stelle sei noch einmal klar darauf hingewiesen, dass sich diese Arbeit mit Filmen beschäftigt und nicht mit TV-Serien. Die Unterschiede (vor allem die der Fans) werden sich im weiteren Verlauf ergeben.  Da besonders junge Menschen sich einem Film verschreiben, erfolgt an späterer Stelle ein kleiner Abstecher in die Jugendsoziologie – speziell zu Untersuchungen zum medialen Verhalten.
Der dritte Teil beginnt mit der Frage nach dem Erfolg von Kultfilmen, bei der ich mich näher mit dem Kino als sozialer Treffpunkt und als individuelles Erlebnis befasse. Zudem werden an dieser Stelle kurz einige wahrnehmungspsychologische Komponenten aufgegriffen.
Im Anschluss daran wende ich mich schließlich der postmodernen Kultur und deren Verhältnis zu Kultfilmen zu. Vor allem der (geschichtliche) Konflikt zwischen Publikum und Kritikern ist besonders interessant. Ein weiterer Gesichtspunkt wird hier der Deutsche Film sein, mit dem sich Andrea Schuster (1999) unter dem Stichwort Massenkultur eingehend beschäftigt hat. Spätestens beim Betrachen der Statistiken wird klar, dass inländische Produktionen mit 12,5 % Marktanteil [Besucherzahlen] (Quelle: Filmföderungsanstalt: www.ffa.de) im Jahr 2000 ein Schattendasein selbst in heimischen Kinos führen. Anscheinend ist in Deutschland kaum jemand in der Lage, Publikumsmagneten zu produzieren, von Kultfilmen ganz zu schweigen – im krassen Gegensatz zu Hollywood.

Abb.1: Der Verfasser bei seiner wahren Berufung

Nach einem umfassenden Resumé wird im Epilog noch ein vorsichtiger Blick in die Zukunft des Kultfilms gewagt, vor allem in Hinblick auf die Digitale Revolution, die sich auch im Kino bereits abzuzeichnen beginnt.
Natürlich ist mir bewusst, dass diese Arbeit in ihrem Konzept fast einem Rundumschlag gleichkommt, was folglich dazu führen könnte, dass die Ergebnisse recht grob ausfallen. Doch würde man sich bei diesem äußerst vielschichtigen Thema auf wenige Filme beschränken, ist die Gefahr meines Erachtens nach weitaus größer, dass das Erfassen des Phänomens in seiner Form und gesellschaftlichen Relevanz nicht annähernd gelingt. Vor allem, wenn man nach Gemeinsamkeiten in einem Komplex sucht, der sich auf den ersten Blick gerade durch das Fehlen derselben auszuzeichnen scheint.
Weiterhin muss ich darauf hinweisen, dass meine Untersuchung aus deutscher bzw. europäischer Sichtweise erfolgt. Die kulturellen Unterschiede zwischen Europa und den USA werden für diese Arbeit als zu gravierend vorausgesetzt, als dass eine Beurteilung der amerikanischen Fankultur von hier aus möglich wäre. Zudem würde eine Darstellung den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen. Doch gerade deshalb wird die Frage umso interessanter, warum gerade Hollywoods triviales Geschäft in Deutschland vermutlich weit mehr Menschen beeinflusst, als Heerscharen von Soziologen es je zu Wege bringen würden*2.

Als letztes sei noch gesagt, dass ich selbst Teil dieser Sozialwelt der Kultfilme und Filmfans bin und daher vermutlich nicht werde verhindern können, dass persönliche Sichtweisen in diese Arbeit mit einfließen. Aufgrund der recht dürftigen Vorarbeit von anderen zu diesem Thema, könnte dies jedoch vielleicht eher von Vor- als von Nachteil sein.

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*1 B-Streifen sind amerikanische Filmproduktionen, die mit einem relativ (für Hollywood-
Verhältnisse) geringem Budget gedreht werden und daher zwar recht „trashig“ (am ehesten zu
übersetzen mit „billig“) wirken, aber gerade dadurch häufig einen ganz eigenen Charme
entwickeln.
*2 Damit keine Missverständnisse auftreten, muss ich zur Erklärung dieser Meinung bemerken, dass
ich mich eher zu den Pessimisten zähle. Aber wie sagte Prof. Herrmann einmal so treffend:
„Pessimisten sehen nicht schwarz, sondern klar!“

**

Zu dieser Filmszene bekam ich folgende EMail von Ulf Janitschke:

Soweit ich mich recht erinnere, funktionierte der Zigarettenanzünder sehr wohl. Jake hatte zuvor mehrmals vergeblich versucht, seine Zigarette mit Streichhölzern anzuzünden und diese dann aus dem Fenster geworfen. Der Zigarettenanzünder folgte dann quasi als Automatismus.
Das Viele mit dem Zitat "Der Zigarettenanzünder ist im Arsch" erst einmal nichts anfangen können, liegt meines Erachtens eher daran, dass das Ganze so beiläufig passiert, dass niemandem auffällt, was da gerade geschehen ist. So beiläufig eben, wie man einen Zigarettenanzünder in Gedanken aus dem Fenster wirft...
Diese Szene gab es schon einmal in 'Mon Oncle' von Jaques Tati aus dem
Jahr 1958 (ebenfalls ein Kultfilm :-)  ).
Es ist schwer zu sagen, ob die Szene in 'Blues Brothers' ein Zitat ist oder völlig unabhängig davon.

Tja, endlich hat es mal jemand gemerkt :-)
Dass die Sache mit dem Zigarettenanzünder falsch wiedergegeben ist, habe ich kurz nach Abgabe meiner Magisterarbeit gemerkt. Dabei ist es nicht allein meine Schuld. Obwohl meine Freunde und ich den Film bestimmt mehrereduzend mal gesehen haben, haben wir diese Szene immer so gesehen, wie ich sie oben beschrieben habe. Erst später, als wir noch einmal genau hinschauten, stellten wir erstaunt fest, dass der verfluchte Anzünder doch funktioniert hat.
Daran lässt sich mal sehen, wie individuell einige Zuschauen so manchen Film aufnehmen - auch wenn es nicht im Sinne des Erfinders ist. (Soll aber keine Entschuldigung sein.)

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