Bausünden 5/7:
Alte Post
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Die Alte Post ist eines der letzten stilvollen Gebäude der Stadt und somit aus meiner Sicht
weit entfernt von einer Bausünde.  Doch nun ist auch dieses Stück rheinenser Geschichte nur noch eine
Erinnerung. Ende September 2002 wurde dieses altehrwürdige Bauwerk mit einer (meiner Meinung nach)
idealen Raumaufteilung für kleinere Geschäftsräume abgerissen, um einem kalten Gebilde aus Glas und Beton
Platz zu machen.

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Statt einer heimischen Atmosphäre tritt auch hier erneut der vermeintlich zeitlose Baustil
der Gegenwart. Nach mehreren Ausschreibungen wurde letztlich der Entwurf des Architektenbüros
"Gehring, Rottkamp und Vos" gewählt - wieder einmal.


Foto des Modells (Münsterländischen Volkszeitung 14.2.2001)

Kalter, weißer Beton (der in ein paar Jahren mausgrau sein dürfte), harte stahlgerahmte Fenster und ein
kantiges, einschüchterndes Design, das schon im dritten Reich seine Fans hatte.
Mit diesem Gebäude ist nun der gesamte Bereich am Busbahnhof in diesem Stil gebaut.
Ein Zuhause nenne ich das nicht gerade!

Obwohl kaum ein Rheinenser diesen Baustil mag, scheinen unsere Stadtväter nicht viel Wert auf jene Meinung
zu legen. Auch der Umstand, dass durch die Umstrukturierung der Bundeswehr demnächst 3000 Arbeitsplätze
wegfallen, scheint die Stadtplaner im Hinblick auf die Kaufkraft nicht sonderlich zu stören, dabei haben es die
Geschäfte in Rheine schon jetzt nicht sonderlich einfach. Gerade größere Geschäfte lassen sich nur sehr
schwer unterhalten - ich erinnere da nur an die Räume von Sudholt, die trotz bester Innenstadtlage mehrere
Jahre lang leerstanden. Noch ein verwaistes Millionen-Euro-Gebäude können wir da nicht gebrauchen!
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Wieviel vermeintlich "modern" denkende Architekten davon halten, zeigt der folgende Leserbrief,
der am 7.3.2001 in der Münsterländischen Volkszeitung erschien:

Die Entscheidung der Rheiner Politiker über die Umnutzung des Alte-Post-Gebäudes ist gefallen. Die vorhandene Fassade wird stehen bleiben oder abgetragen und wieder errichtet.  Es handelt sich lediglich um eine "Fiktion", die zu undynamischem Denken (und Handeln) in Sache Stadtumbau führt und sicherlich nicht der Architektur und der Baukultur dient.
Es ist eine Entscheidung getroffen worden, die jeder Logik entbehrt und sich dem Druck und der Gewalt des Marktes unter Beteiligung von Architekten-Investoren (soll dies der Hinweis auf die zukünftige Marschroute in Rheine sein?) beugt, statt die Sensibilität für einen behutsamen Umgang mit dem "Phänömen-Stadt" zu fördern.
Auf wesentliche Fragen, was zeitgemäße Architektur ist, was für eine Rolle die (Stadt)Ökologie einnehmen soll und welche ästhetischen Maßstäbe zu setzen sind, kommt keine angemessene und richtungsweisende Antwort, auch wenn es an exemplarischen, gelungenen Lösungen (Harald Deilmann mit dem Stadttheater und dem Haus Am Roggenmarkt in Münster und dem Wohn- und Geschäftshaus an der Poststrasse in Rheine) nicht fehlt.
Wie kann sich eine akzeptable Baukulturpolitik behaupten, wenn die Politik dem "Kategorischen Imperativ" der Verantwortung den Bürgern gegenüber entzieht?  Und wie soll in Rheine eine kulturelle (Stadt)Erneuerung erfolgen, wenn in Notsituationen bestimmte Stellen (man denkt z. B. an das Kulturforum) abwesend sind und mundtot bleiben?  Und wie kann nun eine Kulturoffensive starten, deren Grundlage die Belange der Architektur berücksichtigt, das Interesse und das Bewusstsein der Bürger stimuliert und diese in den Entscheidungsprozess involviert, damit die komplexen Fragen der Baukunst und der Stadtentwicklung in das Zentrum der öffentlichen Debatte gestellt werden in Betrachtung der Tatsache, dass Bauen und Stadtgestaltung den Spiegel unserer Gesellschaft darstellen?  Wie kann der Bauherr um beim Thema zu bleiben seiner sozialen und baukulturellen Verantwortung gerecht werden, wenn er gleichzeitig Architekt und Investor ist, manchmal mit einem Parteibuch in der Tasche?  Und wie sieht es mit dem Schicksal anderer Architekten aus, die jegliche Form von Kartellbildung ablehnen?
In der sensiblen Frage" Bauen in der Stadt" ist es einen gesellschaftlichen Konsens erforderlich, damit - wie in der alten gotischen Zeit - das Verhältnis Mensch-Stadt religiöse Ausmaße annimmt, da - wie bekannt - der Mensch vier Häute besitzt: eine eigene, seine Kleidung, seine Behausung und eben die Stadt.  Diese muss sich fortlaufend erneuern, um die Gefahr des Erstarrens und des Absterbens zu bannen, da sie (die Stadt) ein lebendiger Organismus ist.
Nur so kann der Architekt als der letzte Humanist in einer Welt, in der die Grundprinzipien des Kapitalismus (re)zivilisiert werden müssen (Marion Gräfin Dönhoff) und nicht alles den noch nicht gefestigten Gesetzen der Globalisierung überlassen werden darf - seine gesellschaftliche und traditionsreiche Stellung behaupten.
Es ist Zeit, dass bestimmte sensible Fragen des Stadtumbaus einem pluralistisch denkenden Gestaltungsbeirat (ohne Alibifunktion) überlassen werden müssen.

Nicola Piro (Emsdetten)


Nachdem ich gelesen hatte, was ein Architekt gegenwärtig unter dem Begriff „Moderner Baukultur“ versteht, bzw. wieder versteht, lief es mir kalt den Rücken herunter. Hier in Rheine bewegt man sich mit derartigen Ansichten auf sehr dünnem Eis, denn so etwas hatten wir schon einmal. Solchen Architekten, die von oben herablassend behaupten, sie wüssten was für Stadt und Bürger gut sei, haben wir die Matthiasstraße zu verdanken. Und ich glaube kaum, dass irgend jemand hier diese Leute als „letzte Humanisten“ bezeichnen würden. Als in der Nachkriegszeit die Frage nach der Form des Wiederaufbaus gestellt wurde, hatten sich die Architekten in zwei Lager gespalten: Jene, die den traditionellen Stil erhalten wollten, und jene, die erstere als altmodische Nostalgiker beschimpften. Doch solchen Nostalgikern hat Münster seinen Prinzipalmarkt zu verdanken. Einen Ort, den die Bewohner als Schmuckkästchen ihrer Stadt bezeichnen und mit dem sie sich identifizieren. Würde heute noch jemand auf die Idee kommen, jene Gebäude zugunsten eines „dynamisch modernen Stadtbildes“ einzureißen, man würde ihn dort achtkantig aus der Stadt werfen. 
Hier in Rheine hingegen scheint man vehement zu ignorieren, dass eine Stadt nicht nur Konsumort, sondern auch Heimat sein muss. Warum fährt denn der Rheinenser 20 Kilometer weit nach Scharpen, um sich eine Hose zukaufen? Weil er sich der Innenstadt so verbunden fühlt? Wohl eher nicht! Ist es denn da so unverständlich, warum viele Bürger die Alte Post, als eines der wenigen Gebäude, zu dem sie noch eine Beziehung haben, behalten wollen?! Ein Gebäude, zu dem man noch sagen kann:
„Das ist Rheine!“
Wenn Architekten modernes Bauen als (Re-)Vitalisierung der kapitalistischen Grundprinzipien sehen, so ist es kein Wunder, dass dabei graue und kantige Gebilde wie die der Stadtsparkasse oder Altmeppen herauskommen – ein imperialistisch Stil der vergangenen Moderne, der nur eines zum Ziel hat: Der Besucher soll schon beim Eintreten eingeschüchtert werden. Wo ist nur der Grundsatz geblieben, dass man sich in seiner Stadt wie Zuhause fühlen soll? Ein „Phänomen“, dem auch aus ökonomischen Gesichtspunkten eigentlich immer mehr Beachtung geschenkt wird. Wie ging vor wenigen Jahren ein Raunen durch unsere Stadt, als die Leute sahen, was für eine tolle Fassade sich hinter dem schwarzen Blechverschlag vom heutigen „H&M“-Haus versteckt hatte. Genau aus diesen Gründen, wuchs auch der Zuspruch für das Metropol. Es war zwar kaputt, marode und nicht gerade ansehnlich, aber im Vergleich zur Matthias- und der Westseite der Poststraße konnte man ihm eines nicht abstreiten: Es hatte eine Seele!


(C) 2001 by Daniel Bleyenberg