Wieviel
vermeintlich "modern" denkende Architekten davon halten, zeigt der folgende
Leserbrief,
der
am 7.3.2001 in der Münsterländischen Volkszeitung erschien:
Die Entscheidung der Rheiner Politiker über
die Umnutzung des Alte-Post-Gebäudes ist gefallen. Die vorhandene
Fassade wird stehen bleiben oder abgetragen und wieder errichtet.
Es handelt sich lediglich um eine "Fiktion", die zu undynamischem Denken
(und Handeln) in Sache Stadtumbau führt und sicherlich nicht der Architektur
und der Baukultur dient.
Es ist eine Entscheidung getroffen worden,
die jeder Logik entbehrt und sich dem Druck und der Gewalt des Marktes
unter Beteiligung von Architekten-Investoren (soll dies der Hinweis auf
die zukünftige Marschroute in Rheine sein?) beugt, statt die Sensibilität
für einen behutsamen Umgang mit dem "Phänömen-Stadt" zu
fördern.
Auf wesentliche Fragen, was zeitgemäße
Architektur ist, was für eine Rolle die (Stadt)Ökologie einnehmen
soll und welche ästhetischen Maßstäbe zu setzen sind, kommt
keine angemessene und richtungsweisende Antwort, auch wenn es an exemplarischen,
gelungenen Lösungen (Harald Deilmann mit dem Stadttheater und dem
Haus Am Roggenmarkt in Münster und dem Wohn- und Geschäftshaus
an der Poststrasse in Rheine) nicht fehlt.
Wie kann sich eine akzeptable Baukulturpolitik
behaupten, wenn die Politik dem "Kategorischen Imperativ" der Verantwortung
den Bürgern gegenüber entzieht? Und wie soll in Rheine
eine kulturelle (Stadt)Erneuerung erfolgen, wenn in Notsituationen bestimmte
Stellen (man denkt z. B. an das Kulturforum) abwesend sind und mundtot
bleiben? Und wie kann nun eine Kulturoffensive starten, deren Grundlage
die Belange der Architektur berücksichtigt, das Interesse und das
Bewusstsein der Bürger stimuliert und diese in den Entscheidungsprozess
involviert, damit die komplexen Fragen der Baukunst und der Stadtentwicklung
in das Zentrum der öffentlichen Debatte gestellt werden in Betrachtung
der Tatsache, dass Bauen und Stadtgestaltung den Spiegel unserer Gesellschaft
darstellen? Wie kann der Bauherr um beim Thema zu bleiben seiner
sozialen und baukulturellen Verantwortung gerecht werden, wenn er gleichzeitig
Architekt und Investor ist, manchmal mit einem Parteibuch in der Tasche?
Und wie sieht es mit dem Schicksal anderer Architekten aus, die jegliche
Form von Kartellbildung ablehnen?
In der sensiblen Frage" Bauen in der Stadt"
ist es einen gesellschaftlichen Konsens erforderlich, damit - wie in der
alten gotischen Zeit - das Verhältnis Mensch-Stadt religiöse
Ausmaße annimmt, da - wie bekannt - der Mensch vier Häute besitzt:
eine eigene, seine Kleidung, seine Behausung und eben die Stadt.
Diese muss sich fortlaufend erneuern, um die Gefahr des Erstarrens und
des Absterbens zu bannen, da sie (die Stadt) ein lebendiger Organismus
ist.
Nur so kann der Architekt als der letzte Humanist
in einer Welt, in der die Grundprinzipien des Kapitalismus (re)zivilisiert
werden müssen (Marion Gräfin Dönhoff) und nicht alles den
noch nicht gefestigten Gesetzen der Globalisierung überlassen werden
darf - seine gesellschaftliche und traditionsreiche Stellung behaupten.
Es ist Zeit, dass bestimmte sensible Fragen
des Stadtumbaus einem pluralistisch denkenden Gestaltungsbeirat (ohne Alibifunktion)
überlassen werden müssen.
Nicola Piro (Emsdetten)
Nachdem
ich gelesen hatte, was ein Architekt gegenwärtig unter dem Begriff
„Moderner Baukultur“ versteht, bzw. wieder versteht, lief es mir kalt den
Rücken herunter. Hier in Rheine bewegt man sich mit derartigen Ansichten
auf sehr dünnem Eis, denn so etwas hatten wir schon einmal. Solchen
Architekten, die von oben herablassend behaupten, sie wüssten was
für Stadt und Bürger gut sei, haben wir die Matthiasstraße
zu verdanken. Und ich glaube kaum, dass irgend jemand hier diese Leute
als „letzte Humanisten“ bezeichnen würden. Als in der Nachkriegszeit
die Frage nach der Form des Wiederaufbaus gestellt wurde, hatten sich die
Architekten in zwei Lager gespalten: Jene, die den traditionellen Stil
erhalten wollten, und jene, die erstere als altmodische Nostalgiker beschimpften.
Doch solchen Nostalgikern hat Münster seinen Prinzipalmarkt zu verdanken.
Einen Ort, den die Bewohner als Schmuckkästchen ihrer Stadt bezeichnen
und mit dem sie sich identifizieren. Würde heute noch jemand auf die
Idee kommen, jene Gebäude zugunsten eines „dynamisch modernen Stadtbildes“
einzureißen, man würde ihn dort achtkantig aus der Stadt werfen.
Hier
in Rheine hingegen scheint man vehement zu ignorieren, dass eine Stadt
nicht nur Konsumort, sondern auch Heimat sein muss. Warum fährt denn
der Rheinenser 20 Kilometer weit nach Scharpen, um sich eine Hose zukaufen?
Weil er sich der Innenstadt so verbunden fühlt? Wohl eher nicht! Ist
es denn da so unverständlich, warum viele Bürger die Alte Post,
als eines der wenigen Gebäude, zu dem sie noch eine Beziehung haben,
behalten wollen?! Ein Gebäude, zu dem man noch sagen kann:
„Das
ist Rheine!“
Wenn
Architekten modernes Bauen als (Re-)Vitalisierung der kapitalistischen
Grundprinzipien sehen, so ist es kein Wunder, dass dabei graue und kantige
Gebilde wie die der Stadtsparkasse oder Altmeppen herauskommen – ein imperialistisch
Stil der vergangenen Moderne, der nur eines zum Ziel hat: Der Besucher
soll schon beim Eintreten eingeschüchtert werden. Wo ist nur der Grundsatz
geblieben, dass man sich in seiner Stadt wie Zuhause fühlen soll?
Ein „Phänomen“, dem auch aus ökonomischen Gesichtspunkten eigentlich
immer mehr Beachtung geschenkt wird. Wie ging vor wenigen Jahren ein Raunen
durch unsere Stadt, als die Leute sahen, was für eine tolle Fassade
sich hinter dem schwarzen Blechverschlag vom heutigen „H&M“-Haus versteckt
hatte. Genau aus diesen Gründen, wuchs auch der Zuspruch für
das Metropol. Es war zwar kaputt, marode und nicht gerade ansehnlich, aber
im Vergleich zur Matthias- und der Westseite der Poststraße konnte
man ihm eines nicht abstreiten: Es hatte eine Seele!
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